Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

ZUM DOKUMENTARFILM "WASTE LAND"

Aschenputtelkunst

9. Juni 2011 von Niele Büchner
Im Kino läuft zur Zeit der Dokumentarfilm "Waste Land“ über ein soziales Kunstprojekt des brasilianischen Künstler Vik Muniz, das er auf einer Müllhalde in Rio de Janeiro durchgeführt hat. Muniz, der hauptsächlich in New York lebt, ist hierfür in sein Heimatland zurückgekehrt und hat das Projekt gemeinsam mit den dort arbeitenden Mülltrennern, den sogenannten Pflückern, realisiert. Zunächst führte er Gespräche mit den Arbeitern, anschließend porträtierte er sie. Diese Porträtaufnahmen hat er im nächsten Schritt – seiner üblichen Arbeitsweise folgend – vergrößert auf einen Boden projiziert und die Linien und Schatten mit Hilfe der "Pflücker" mit Müll nachgestellt. Von dieser Installation werden wiederum Fotos gemacht, die die verkaufbaren Kunstwerke darstellen.
Dem Vernehmen nach wollte der Künstler mit dem Projekt jedoch nicht nur künstlerische Arbeiten produzieren, sondern den Menschen vor Ort helfen. Er versucht das auf zweifache Weise: erstens durch eine Kunstauktion, auf der die entstandenen Fotografien versteigert wurden, und dessen ... weiterlesen »

BERLINGERWALD ROCKENSCHAUB: LADY LINDA

Spielerischer Purismus

9. Juni 2011 von Marianne Hain
Abbildung zu
"Lady Linda", Ausstellungsansicht (Foto: Marianne Hain)
Gerwald Rockenschaub ist ein Spieler – er spielt mit visuellen Formen und Zeichen unserer Umwelt. Auch in seiner Ausstellung „Lady Linda“ in der Galerie Mehdi Chouakri stellt er verschiedene knallbunte Objekte aus lackiertem MDF an einer großen Wand zusammen, die den Betrachter in ihrer Zeichenhaftigkeit zum Assoziieren verführen. Die Zusammenstellung der Werke erinnert an die Allgegenwärtigkeit von Werbe-Signets, von deren Präsenz, Knalligkeit und unterschiedlichsten Aussagen man regelrecht überflutet wird. Das Auge hüpft von einem zum nächsten, auf der Suche nach Sinn. Die Zeichen scheinen immer wieder auf alltägliche Dinge zu verweisen – wie eine Blume, eine Sprechblase, ein Doppelherz oder ein Farbklecks, aber doch bleiben sie abstrakt und stehen als Farb-Form-Gebilde für sich. Die Setzung des Künstlers ist als offene Matrix zu verstehen, ohne inhaltliche oder narrative Festlegung, verspielt und nicht fassbar, vielmehr als Möglichkeit gedacht. Die scheinbar riesige Quelle an Interpretationsspielräumen, die die Objekte eröffnen, ist beeindruckend – als stupide Essenz des Informations- und Konsumzeitalters gelesen, mitunter auch bedrückend. Dennoch, zielsicher an Rockenschaubs visuellem Konzept ist, dass er mit einer skurrilen Mischung aus heiterer Verspieltheit sowie Coolness und Sterilität Codes unserer Alltags- und Popkultur auf die Probe stellt. Er benutzt Zeichen, die man scheinbar kennt, gleichwohl man den Eindruck gewinnt, dass ihnen etwas fehlt wie z.B. ein Schriftzug oder auch der Kontext. Wurde der Pop seines Inhalts beraubt oder schlimmer: seines Versprechens? Allein schon durch diese Möglichkeit erhält das zurückbleibende dekorative Moment etwas unerwartet Widerständiges.
Das Konzept des Künstlers aber endet nicht am einzelnen Zeichen, am einzelnen Objekt. Vielmehr spielt er auch mit dem Raum, in dem seine Kunst gezeigt wird, definiert diesen durch minimale Eingriffe um und verweist damit auf seine Herkunft aus der ... weiterlesen »

GLÜCKSTADTINGA KÄHLKE: CAMPIONIDIANIMALI

Von Natur aus

30. Mai 2011 von Erik Stein
Im Palais für aktuelle Kunst in Glückstadt begegnen sich derzeit zwei künstlerische Prototypen. Hier der Ausstellungskünstler, der seine Arbeiten im Raum denkt und zu einem ästhetischen Parcours formiert – dort die Malerin, deren Praxis innerhalb der aufgespannten Leinwand spielt und auch während der Ausstellung nur dort zu ergründen ist.
Abbildung zu
Eggleston lässt grüßen: "Birke unlackiert", 2008
Im Untergeschoss hat der überwiegend fotografisch arbeitende Philip Gaißer sechs seiner Arbeiten unter den Titel „chiuso“ gestellt. In einem der kleinen verwinkelten Räume des schmucken Renaissancebaus hat er einen Leuchtkasten platziert, der 9 Polaroid-Negative illuminiert, auf denen eine Tauchrohrpumpe ihr ... weiterlesen »

BERLINBORIS MIKHAILOV

Entblößend ehrlich

23. Mai 2011 von Niele Büchner
Im neuen Standort der Galerie von Barbara Weiss in Kreuzberg sind im einzigen großzügigen Ausstellungsraum zwei Fotoserien von Boris Mikhailov zu sehen. Dabei scheint „Black Archive 1968-1979“ – in der Mitte des Raumes auf einem Holztisch liegend präsentiert – die zweite Serie thematisch vorweg zu nehmen: „Tea Coffee Cappuccino 2000-2010“ ist eine Sammlung von Momentaufnahmen aus der ukrainischen Stadt Charkow, in der Mikhailov in gewohnt gekonnter Manier Menschen im öffentlichen Raum zeigt, die in offiziellen Darstellungen lieber nicht gezeigt werden: betrunkene, sich entblößende Jugendliche; obdachlose, verwitterte Alte; öffentliche vermüllte Plätze. Besonders im Kontrast zu den älteren schwarz-weiß Aufnahmen fällt die Verwahrlosung und die Fülle an Werbung im öffentlichen Raum ins Auge. Bei den neueren Fotos handelt es sich weniger um Einzelporträts und kompositorisch ausgefeilte Details aus dem Stadtleben, als um belebte Straßenszenen.
Eine der eindringlichsten Serien zeigt eine Frau, wie sie mitten auf einem belebten Platz uriniert. Zur Irritation über die Ausführung dieser intimen Handlung gesellt sich die Verwunderung über diesen selbstverständlichen Gebrauch des öffentlichen Raumes. Mikhailov schafft eindringliche wie beunruhigende Porträts ... weiterlesen »

BERLINCYPRIEN GAILLARD: THE RECOVERY OF DISCOVERY

Alles in Ordnung

16. Mai 2011 von Erik Stein
Abbildung zu
Diskussion mit KW-Mitarbeitern (Still aus unveröffentlichtem Dokumentationsvideo)
Nicht erst seit dem von Rancière wiederbelebten Streit um die ‚Relationale Ästhetik’ ist die Partizipation des Kunstbetrachters wieder Gegenstand hitziger Debatten. Bereits 2010 lieferten diverse Großausstellungen Futter: Tino Seghal im Guggenheim, Marina Abramović im MoMA – auch die Bierpyramide von Cyprien Gaillard in den Berliner KunstWerken (KW) erntet derzeit ein bemerkenswertes Medienecho. Für Bildredakteure war das Angebot von catchy Vorher-Nachher-Bildern nur zu verlockend, und ein Leichtes war es für Feuilletonisten, über Bier trinkende Besucher zu sinnieren, deren Konsum das Kunstwerk langsam auseinanderbröseln ließ. Ein Kunstwerk, das sich durch seine Benutzung selbst zerstört.
Die soziokulturelle Lesart gab es mit freundlicher Empfehlung der Pressemitteilung schon vorab, also vor der eigentlichen Fusion von Besuchern und Kunstwerk. Gaillard, heißt es da, „untersucht in seinen Arbeiten immer wieder die absurden Aspekte dystopischer Architekturen und verbleibender Ruinen“. Als ... weiterlesen »

BERLIN LAETITIA GENDRE

Peng, peng, peng

16. Mai 2011 von Niele Büchner
Die Einzelausstellung „The Direct Matching Hypothesis“ von Laetitia Gendre bei Thomas Fischer besticht durch die Heterogenität der verwendeten Materialien und Formate. Betritt man den Raum, ist man fast augenblicklich Bestandteil einer raumgreifenden Installation, die an Schießständen angelehnt ist, nur dass es keine Personen sind, die schießen, sondern drei Diaprojektoren. Diese projizieren auf drei nebeneinander hängende ´Zielscheiben` ein Sammelsurium an Bildern, die mal augenscheinlich, mal eher abstrakt mit dem Thema Schießen korrespondieren – in jedem Fall aber zum Gucken und Assoziieren einladen. Auf dem Boden verstärkt eine Papierbahn, die an der Wand endet, den Eindruck eines Schießstandes. Auf ihr deuten gezeichnete Backsteine einen Korridor an, der durch drei leere Flächen in Form von Zielscheiben unterbrochen wird. Hier wird zwar der Schießstandeindruck noch einmal verstärkt, aber leider nicht konsequent genug verfolgt bzw. gebrochen.
In den Graphitzeichnungen im anschließenden Raum wird das Thema Schusslöcher fortgesetzt ohne eine eindeutige Lesart vorzugeben. Oftmals oszillieren die Zeichnungen zwischen abstrakten Darstellungen, bei denen die Materialität der Objekte im Vordergrund steht, und konkreten (Kreis-)Motiven. Im dritten Raum nimmt ... weiterlesen »