Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

LEVERKUSENROSEMARIE TROCKEL: MAISON DE PLAISANCE

Irgendwie clever

6. Oktober 2012 von Annika Bender
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Detail einer Arbeit Rosemarie Trockels von der Documenta 13 (Foto: Nils Klinger)
Es gibt Künstler, denen wird eine besonders gut gemeinte Form von diskursiver Wertschätzung entgegengebracht. Wie ihre Kollegen nehmen sie an großen Ausstellungen Teil, werden besprochen und innerhalb bestimmter politischer Kategorien rezipiert. Allerdings, und das ist der Unterschied zu den meisten anderen Künstlern, werden diese Kategorien bei ihnen nur selten noch überprüft und am tatsächlichen Gegenstand einzelner Arbeiten und Ausstellungen gemessen. Vielmehr scheinen sie gehüllt in die Dunstwolke eines blinden Vertrauens in Bedeutung und politischen Kontext, welche von Zeit zu Zeit um ein paar weitere, meist auffällig gewundene Sprachblüten und -wolken ergänzt werden.
In der aktuellen Ausgabe von Texte zur Kunst macht Peter Geimer eine Ausnahme und konfrontiert eine derart diskursiv eingedieselte Arbeit von Thomas Hirschhorn mit einer völlig unnebulös artikulierten Argumentation. Am Ende bleibt wenig übrig vom medienkritischen, aufklärerischen und reflexiven Potenzial, das der besprochenen Arbeit (den „Ur-Collagen“) sonst allzu leichtfertig zugedichtet wird. Obwohl Texte zur Kunst zu den wenigen Publikationen gehört, die immer wieder auch die Courage zu so verdienstlichen Argumentationen aufbringen, zeigt sie an anderer Stelle leider erkennbar wenig Scheu ihr nahe stehenden Künstlern blindlings Blümchen ins Heft zu malen. Rosemarie Trockel ist so eine Künstlerin.
Aufgrund einiger Arbeiten mit Strickwolle und Herdplatten in den achtziger Jahren dünsten ihre Arbeiten bis auf Weiteres eine Aura von Feminismus aus (was an sich schon relativ fragwürdig ist), aber eben auch jene „Vorstellung einer eingebauten Widerständigkeit“, die Geimer Hirschhorns „Ur-Collagen“ so überzeugend in Abrede stellt. In einer zwei Jahre alten Ausgabe von Texte zur Kunst unternimmt ein anderer Autor denn auch größte rhetorischen Anstrengungen um Trockels damalige Ausstellung in der Kunsthalle Zürich diese Widerständigkeit einzuhauchen. Entsprechend selbstredend ist für ihn, dass der von ihr „zitierte Stil luxuriöser Schönheit“ ein „spöttischer“ ist, und dass die „mehrstufige Artifizialität“ ihrer Arbeiten „zur Verunsicherung ihrer primären Kodierung als ‚Kunst’“ dient. Dass die ausgestellten Arrangements und Großformate nun sowas von nach luxuriöser Kunst-Kunst aussehen, ist also eigentlich nur ein Zeichen ihrer immanenten „Selbstsubversion“, einer nur für Kenner erkennbaren inneren Widerständigkeit.
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Blick in den „Tea Party Pavillon“ im Kasseler Auepark (Foto: Nils Klinger)
Das erklärt dann auch, warum Trockels Pavillon die Kapazitäten des wurstbrotigen Normalvolks sprengen musste, das sich auf der diesjährigen Documenta herumtrieb. Kaum eine Arbeit der Großausstellung gab sich derart verkapselt und unzugänglich, und suggerierte mit gezielt gestreuten Trigger-Begriffen zugleich, hier würden große Diskurse angestimmt. Neben Tino Sehgal war Trockel auch die einzige Künstlerin, die sich einen Erläuterungstext im Kurzführer verbat, stattdessen in überdimensionierten Großbuchstaben „Tea Party Pavillon“ über die reservierte Doppelseite drucken ließ. So blieben die Wurstbrote auf die ehrfürchtige Vermutung zurückgeworfen, der Umstand, dass die rechtsagitierende Tea-Party-Bewegung im eigentlichen Pavillon in der Karlsaue mit rein gar nichts aufgegriffen wurde, sei kein Zeichen von apolitischer Dekadenz, sondern eine subtile „Dekodierung“ und semantische „Verunsicherung“ politischer Kampfbegriffe. Tatsächlich war an keinem anderen Ort der Großausstellung die verbreitete diskursive Hermetik zeitgenössischer Kunst so kompromisslos ausgespielt wie in Trockels schwarz gestrichenem Pavillon. Dessen akkurat gerahmten Fotografien ließen kaum mehr erkennen, als das abermalige Zitieren „luxuriöser Schönheit“, nämlich die von Modefotografie. Kleine Metallplaketten auf den unteren Rahmenleisten eines jeden Bildes zündeten Nebelkerzen in Form gewitzter Titel.
Aber selbst, wenn man zum Beispiel ahnen kann, dass der Aufkleber „I love Frauengefängnisse“ auf Kippenbergers „We love Frauenknast“ anspielen möchte, führen die so angelegten Assoziationsbahnen nur in einen diffusen Vielleicht-Irgendwie-Feminismus, der sich selbst zu clever für das Risiko ist, nur einen Hauch von Verständlichkeit zu integrieren. Könnte ja sein, dass jemand merkt, dass es nichts gibt, dass die tiefergehende Auseinandersetzung lohnte; in der Tat führt aus dieser Arbeit nämlich kaum ein Weg hinaus in die Wirklichkeit und deren Diskurse. Das mag bei Trockels „Haus für Schweine und Menschen“ auf der Documenta X noch anders gewesen sein. Jetzt aber fanden selbst überzeugte Trockel-Anhänger keinen Anschluss mehr und verwiesen ausweichend darauf, man müsse eben die Künstlerin im Kontext ihrer übrigen Arbeiten betrachten.
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„Replace Me“ von Rosemarie Trockel (VG Bild-Kunst, Bonn 2012)
Dazu gab nun „Maison de Plaisance“ im Schloss Morsbroich eine weitere Gelegenheit. Neben Trockel zeigte die Ausstellung im alten Lustschloß in Leverkusen auch Arbeiten von Paloma Varga Weisz. Die beiden Künstlerinnen luden ein, einen Parcours durch autonome Skulpturen, Fotografien und Zeichnungen, bis hin zu raumgreifenden Installationen abzuschreiten. In manchen Räumen vermischten sich die Arbeiten der beiden, andere blieben nur einer Künstlerinn vorbehalten. Am Beispiel der Arbeit „Replace me“ lässt sich leicht verdeutlichen, welche Mittel bei Trockel zum Einsatz kommen, um die beschriebene Wirkung abzurufen. Es handelt sich um eine schwarz-weiße Fotografie, die Courbets „L'Origine du monde“ abbildet. Die Abbildung unterscheidet sich jedoch in einem entscheidenden Punkt vom Original: Auf der Scham sitzt eine Vogelspinne, die diese größtenteils verdeckt. So präsentiert sich das Objekt als Abwandlung eines bekannten Bildes, das beim Betrachter Ansätze von Erregung über Ekel bis hin zur Belustigung auslösen mag. Die Bandbreite an möglichen Wirkungen ist also schon in der unmittelbaren Reaktion recht groß. Weiter vergrößert wird sie auf der symbolischen Ebene. Sowohl Courbets Malerei, als auch die Spinne, besitzen enormen Bedeutungsreichtum. Es gibt kaum einen Sachverhalt, der sich nicht in direkte Beziehung zu diesen beiden Symbolen setzen lässt. Der mögliche Assoziationsraum ist also dermaßen groß, dass eine bestimmte Leserichtung so ziemlich ausgeschlossen werden kann. Anstatt mit zielführendem Einsatz von Bildmitteln hat man es mit einer Assoziationsplattform kaum ermesslicher Ausmaße zu tun, die in ihrem Optionsreichtum und ihrer Offenheit dem eines unbeschriebenen Blatts Papier erschreckend nahe kommt. Dabei besteht der Einsatz von symbolisch vielfach kodiertem Material zugleich auf dem Eindruck, hier sei tatsächlich etwas formuliert worden – nur, dass es keine Möglichkeit gibt, dem auch näher zu kommen.
An dieser Stelle wäre durch die Wahl eines Titels allerdings noch Gelegenheit gegeben, der Arbeit zumindest eine Stoßrichtung zu verleihen. Doch auch der verweigert bei „Replace me“ jede Spezifik. Wer oder was soll hier ersetzt oder erneuert werden? Die Spinne, die Frau, Courbets Gemälde, der Betrachter oder vielleicht die Symboliken der beiden Bildprotagonisten? Die Menge der möglichen Lesarten wird im Titel also nicht verringert, sondern abermals erweitert. Eine Haltung ist an keiner Stelle erkennbar, vielmehr eine bewusste künstlerische Enthaltung. Schließlich deutet alles darauf hin, als wolle Trockel die Möglichkeit einer irgendwie gerichteten Rezeption bewusst ausschließen. Übrig bleibt allein die anvisierte Aura von Bildung und Bedeutung, die jedem Zweifel an der Signifikanz der Arbeit entgegengeblasen wird. Denn gerade die Endlosigkeit der Bezüge wird in der angesprochenen wohlwollenden Kritik häufig als Zeichen von thematischer Komplexität gewertet und lässt Künstlerin und Werk in einem diffusen esoterisch-intellektuellen Licht erstrahlen. Von der „Destabilisierung“ von Bedeutungsproduktion ist dann die Rede, und als besondere Leistung der Arbeit wird der an sich banale Umstand hervorgehoben, die Rezipienten könnten „den Faden des Sinns nicht einfach abwickeln, sondern [müssten] ihn selbst mitproduzieren.“ Das allerdings gilt für jede emanzipierte Rezeption, wie wir spätestens seit Rancière wissen, gleichsam für die Betrachtung jedes belieben Arrangements, sagen wir der einer Zimmerlampe und eines Beistelltischs mit leerem Aschenbecher.
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Vorne: „Was ein Ding ist, und was es nicht ist, sind in der Form, identisch gleich“ und im Hintergrund „Retour au Vestaire“ von Rosemarie Trockel (VG Bild-Kunst, Bonn 2012)
An eine solche Zusammenstellung erinnert denn auch die Arbeiten mit den Titeln „Was ein Ding ist, und was es nicht ist, sind in der Form, identisch gleich“, eine goldumrandete Glasvitrine mit dem Abguss eines rechten Menschenbeins in Netzstrumpf und Flipflop, und „Retour au Vestaire“, zwei ebenfalls goldgerahmten Digitaldrucken, die Trockel mit Acrylfarbe übermalt hat. Zusammen ergeben die Arbeiten ein geschmacklich fantastisch anzusehendes Arrangement: Das gemeinsame Gold, das bei den Bildern teilweise noch fesch übermalt wurde, die Menschensilhouette auf dem rechten Bild, die formal mit dem ausgestellten Bein korrespondiert und ein gesockelter Flipflop – das ist amüsant! Trockels Problem ist nicht das fehlende Gespür für Komposition und Materialien; die Arbeiten präsentieren durchaus ästhetische Raffinesse. Gemeinsam mit der erwähnten symbolischen Vieldeutigkeit suggeriert diese ein enormes Emissionsniveau. Sie implizieren also, dass ihr Verständnis ein hohes Maß an Bildung voraussetzt. Nur führt auch die hier schlussendlich zu nichts mehr, als einem hübschen formalen Zueinander, das sich inhaltlich in totale Beliebigkeit zerstreut. Der Titel der Vitrineskulptur „Was ein Ding ist, und was es nicht ist, sind in der Form, identisch gleich“, der ein Vorwort George Spencer-Browns zitiert, deutet an, dass es Trockel derweil auch um nichts anderes mehr ist, als die Form, deren Bezeichnendes sie jeweils soweit destruiert, das es für nichts steht als die Kunst. Dafür aber hätte auch das alte Pissoir gelangt, dessen geschmackliche Aktualisierung allein keinen darüber hinausgehenden Beitrag leistet: Leere Variationen einer weltvergessenen Liebe zur Kunst, denen auch Paloma Varga Weisz wenig entgegen zu setzten wusste. So bestand der im Begleittext angepriesene Dialog mit reich dekorierten Lustschloss am Rande Leverkusens schließlich auch nur in dem leisen l’art pour l’art, das sie einander zuhauchten.

Kommentare

#1) Am 8. Oktober 14:50 um Uhr von Gingerbread Dog

Wie schön es (mal wieder) ist, das eigene, vorsprachlich-diffuse, vermeintlich subjektive Unbehagen an etwas derart elaboriert als objektiv-schlüssigen Text kredenzt zu bekommen. Juhu, es gibt wieder Kritik! Wenns hier jetzt nur noch öfter mal Updates gäbe...

#2) Am 11. Oktober 12:59 um Uhr von XCV

Ein guter Artikel! Danke dafür!

#3) Am 12. Oktober 08:01 um Uhr von Hocus Pocus

Letztens benutzte jemand mal - in einem anderen Zusammenhang - den bösen Begriff "Konzeptkitsch". Darüber lohnt es sich nachzudenken. Was der gegenständlichen, etwa romantischen, Malerei von einst schließlich in Form des "Röhrenden Hirschen" im Wohnzimmer der Sechziger widerfuhr, davor ist wohl auch eine eigentlich gegenläufige, abstrakte (und heute wohlfeile, offene Türen einrennende) Kunst im Stil vergangener, rebellischerer Dekaden nicht gefeit. Das sei jetzt gar nicht mal primär auf die Trockel gemünzt, das ist ein weit verbreitetes Problem geworden. Tragisch eben nur, wenn es dann jene Kunstrichtungen und -Traditionen trifft, die dereinst tatsächlich mal Ausdruck von Umbrüchen waren, formal ästhetische und gesellschaftliche Relevanz hatten, dem Establishment und einer falschen Moral in die Eier traten und gegen erbitterten Widerstand eigensinnig und risikoreich durchgekämpft wurden, statt wie heute vom Professor belobigt, mit Stipendien und Auszeichnungen behängt in einen luxuriösen Premiumkunstsektor hereingewunken zu werden und Bankkonten zu füllen. Die "Widerständigkeit" solcher Kunst verhält sich zu der von damals wohl so, wie sich der Röhrende Hirsch der Sechziger zu meinetwegen einigen Werken der Präraffaeliten in Bezug auf eine gewisse Emotionalität, ein gewisses Interesse oder im Bezug auf Innovation verhält. Was im einen Zeitraum funktionierte und seine völlige Berechtigung oder gar Notwendigkeit hatte, wird in der Wiederholung schließlich aufgebläht und satt und wirkungslos, wird selbst Klischee und dadurch kontraproduktiv, zu einer überraschungslosen entleerten Wohlfühlkulisse für Gleichgesinnte und Honoratioren. Wenn die Bedeutungen und die Relevanz erst umständlich mit viel Textproduktion hineingeheimnist werden müssen und die Arbeit selbst nicht mehr zu sprechen scheint, ist das jedenfalls schon mal ein Warnsignal. Und das ist doch überall zu sehen. Es regt sich aber auch niemand darüber auf (selbst der Text hier oben argumentiert abwägend und unaufgeregt). Das zeigt aber auch, dass es darum garnicht primär zu gehen scheint, denn warum würde man das alles sonst trotzdem so ausstellen und abfeiern, statt sich lieber mal - auf allen Seiten - solche Gedanken zu machen. Wichtiger sind aber wohl, ganz altmodisch, das Ritual, das Prestige und die Penunze, auf allen Seiten. Den Rest kann man ja irgendwie simulieren.