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BERLINKUNST UND PHILOSOPHIE

Kunst und/oder Philosophie

27. Oktober 2011 von Niele Büchner
Rollen wir die ganze Sache von hinten auf: In der Berliner Galerie BQ war bis vor kurzem noch eine Ausstellung des Philosophen Marcus Steinweg zu sehen. Er präsentierte dort eine Reihe seiner selbst angefertigten Diagramme, auf denen er philosophische Begriffe und Namen von PhilosophInnen zueinander in Beziehung setzt. Obwohl die dreißig Diagramme unterschiedlich sind, ist doch die Machart stets die gleiche: Namen/Begriffe werden angeordnet, mit einem Kasten versehen und mit buntem Edding mit den anderen Namen/Begriffen verbunden. Das Ganze wird dann mit Klebeband „übermalt“. Der betont geometrische Aufbau der meisten Diagramme suggeriert, es gäbe eine mögliche Ordnung, nach der diese Begriffe zueinander gehören, doch scheint es Steinweg viel mehr darum zu gehen, die Absurdität jeglicher Ordnungsbemühungen offenzulegen. Denn: „Die Diagramme müssen so klar wie möglich sein, aber sie dürfen keine Klarheit vortäuschen.“ Statt um systematisierende Diagramme handelt es sich vielmehr um poetisch-abstrakte Denkbilder, die das Bedürfnis nach Ordnung und Übersichtlichkeit offenlegen ohne es zu bedienen.
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Eines von Steinwegs Diagrammen in der Galerie BQ
Gefragt wird offenbar auch nach dem ästhetischen Mehrwert dieser Arbeiten. Handelt es sich um Kunstwerke oder Visualisierungen philosophischer Gedanken? In einer Art Manifest in zehn Punkten behauptet Steinweg: „Nie geht es darum, einen ästhetischen Mehrwert zu erzeugen.“ Er grenzt sich damit recht deutlich von dem Anspruch ab, Kunst zu machen. Doch was machen die Diagramme dann in einer Galerie, die ihnen unweigerlich einen ästhetischer Mehrwert zugeschreibt? Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Kunst drängt sich auf und wird im gleichen Atemzug verneint.
In der noch laufenden Ausstellung „Kunst und Philosophie“ im Neuen Berliner Kunstverein wird die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Kunst nun ebenfalls gestellt – nur in umgekehrter Reihenfolge. Marcus Steinweg, der hier als Kurator agiert, beantwortet sie jedoch ähnlich zurückhaltend wie in seiner eigenen Ausstellung.
Bevor näher auf die Ausstellung eingegangen wird, seien noch ein paar Überlegungen vorweggenommen. Was will eine Ausstellung, die in ihrer Überschrift ein ‚und‘ zwischen zwei Disziplinen setzt? Will sie die verbindenden Elemente dieser Felder benennen und thematisieren oder werden durch das Zueinanderstellen zweier Felder nicht eher die Unterschiede markiert? In seinem Buch ‚Gefährliche Substanzen – Zum Verhältnis von Kunst und Kritik‘ fragt Helmut Draxler nach ebendiesem ‚und‘ und zeigt die Vielzahl der Interpretationsmöglichkeiten dieses Wortes auf: „Welches Verhältnis drückt sich im ‚und‘ und der Kopula aus: ein Gemeinsames, ein Verbindendes, ein Trennendes oder gar ein Gegensätzliches? Und welche soziale Logik artikuliert sich gerade im wiederholenden Insistieren der Themenstellung?“ Im Ausstellungstext von „Kunst und Philosophie“ ist von einer Freundschaft der Disziplinen die Rede, zu der die Artikulation einer gewissen Differenz gehört. Damit werden sowohl die verbindenden als auch die trennenden Elemente bedacht. Steinweg bringt beide Disziplinen zusammen – und tut dies auf möglichst unverbindliche Weise.
So besteht das Konzept von „Kunst und Philosophie“ aus zwei Teilen, die relativ autonom bleiben: einer Ausstellung mit künstlerischen Arbeiten und einem Vortragsprogramm. Die namhaften PhilosophInnen wie Chantal Mouffe, Francois Jullien oder Nina Power sprechen aber nicht über die Frage „Was ist Kunst?“, sondern über „Was ist Philosophie?“ Den künstlerischen Arbeiten sieht man wiederum nicht an, dass sie sich mit philosophischen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Selbst Thomas Hirschhorn ist nicht mit einem seiner Philosophie-Monumente vertreten, die er u.a. Bataille und Deleuze gewidmet hat. Das Philosophische findet sich eher versteckt wieder, was dem Anspruch Steinwegs entspricht, keine Illustrationen philosophischen Denkens zu zeigen, sondern ein Denken mit den Mitteln der Kunst anzuregen. Gelungen ist das nur in Teilen.
Das Verbindende von Kunst und Philosophie sind, laut Steinweg, die Suchbewegungen, die sie vollziehen, seien es die permanenten Hinterfragungen von Wahrheiten und Wahrnehmungen, die Auseinandersetzungen mit dem Inkommensurablen oder die Suche nach widerständigen Formen des Selbst in Zeiten zunehmender Selbstdisziplinierung. Die künstlerischen Arbeiten drücken diese Suchbewegungen auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Medien aus: gemeinsam ist ihnen dabei ihr entziehendes Moment.
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Die Arbeiten von Haegue Yang (links) und Christian Schwarzwald (rechts), Foto: (n.b.k.)
Die Arbeit „Schnur im Neben (Introtourismus) – erneut eingeschlossen“ von Haegue Yang ist dafür ein schönes, wenn auch etwas plattes Beispiel: auf einem Tisch mit Stuhl davor steht ein Tresor. Wir wissen nicht, was sich darin befindet, aber wir können es imaginieren – und werden dabei von unseren Erfahrung und Erwartungen geleitet. Wahrnehmung scheint generell ein wichtiges Thema der Ausstellung, genauer: wie unsere Wahrnehmung determiniert wird und wie wir dazu neigen, Dinge einzuordnen, in bekannte Raster zu pressen. Dies wird auch in der Arbeit von Christian Schwarzwald aufgegriffen, der über drei Wände Zeichnungen im Din-4 Format in Reih und Glied anordnet, dabei aber die rahmende Ordnung unterläuft, in dem die Motive – Fenstergitter, Worte und Personen darstellend – über den Rand der einzelnen Bilder hinausgehen. Die Installation von Kitty Kraus dagegen will nichts darstellen und steht doch für etwas: aus zwei durchsichtigen Glasscheiben errichtet, droht sie jede Sekunde einzustürzen: ihre Fragilität könnte darauf verweisen, auf welchem dünnen Eis jede Form von Wahrheit steht – und sei sie noch so transparent begründet.
Auch „Toga“ entzieht sich bewusst einer Eindeutigkeit bzw. macht die Nicht-Unterscheidbarkeit zum Thema: Der Film von Marcellvs L. zeigt das 15 min Einziehen eines Fischernetzes und oszilliert dabei stetig zwischen Erkennbarkeit und Abstraktion. Andere Arbeiten entziehen sich jedoch zu stark: Die ornamentale Intervention von Richard Wright – eine Zeichnung an der Decke des Ausstellungsraumes – kommt nicht über ihre „autonome Formbehauptung“ hinaus. Auch Swantje Hielschers Arbeit – ein überdimensionaler Glashalter, auf den an beiden Seiten eine Fensterscheibe lehnt – bleibt zu vage: geht es hier um Durchblick? Durchsichtigkeit? Oder eine Anspielung auf Duchamp?
Obwohl viele Arbeiten extra für die Ausstellung entstanden sind und laut Steinweg aus der Auseinandersetzung mit philosophischen Fragestellungen resultieren, verbleiben einige zu stark im Dunst der philosophisch-interpretatorischen Zuschreibungen. Der Ausstellung hätten einige explizitere Arbeiten gut getan, die nicht nur auf der formalen Ebene agieren, sondern philosophische Fragen konkreter aufgreifen. Ebenso wäre es hilfreich gewesen, wenigstens einen Vortrag zum Verhältnis von Kunst und Philosophie zu hören – nicht um es durch den Vortrag zu zementieren, sondern eine mögliche Interpretation vorzugeben, an der man sich dann hätte reiben können. So ist die Ausstellung zu sehr bemüht jegliche Form der Bezugnahme vor dem Vorwurf einer Vereinnahmung zu retten – und vergibt so die Chance die bestehenden Bezüge stärker zu akzentuieren.