Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BERLINMARTIN KIPPENBERGER: SEHR GUT | VERY GOOD

Kippy und die Rache der Enterbten

7. August 2013 von Annika Bender
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Monotheismus der guten Laune: Martin Kippenbergers „Zuerst die Füße“ von 1991
(© Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain)
Didi Hallervorden. Wie schon bei der großen Hans-Peter-Feldmann-Show in den Deichtorhallen, musste ich ständig an Didi Hallervordern denken. An diesen lachenden Zeigefinger: Schau ma – hö, hö, hö – det is witzig! In beiden Fällen große Hallen und weite Wege zwischen mittelmäßigen Kalauern. Auf zum nächsten Gag! Nun ist über die Kippenberger-Ausstellung im Hamburger Bahnhof eigentlich genug geschrieben worden. Dass sie nichts beitrage zur ausstehenden Erforschung des Werks, dass sie markante Werkphasen gleich ganz außen vor lasse oder eine „selbstherrliche Verwaltungskultur“ exerziere (Roberto Ohrt). All dem kann man getrost zustimmen. Die Schau ist rundherum misslungen. Ihr fehlt jedweder Ehrgeiz, dem Phänomen Martin Kippenberger irgendetwas abzugewinnen, das über die dürftige Anhäufung von Artefakten hinausginge. Es ist mit Kippenberger ja ähnlich wie mit Beuys: Die Werke altern schnell und kläglich, schaffen Kuratoren und Szenografen es nicht, sie mit Kontext zu polieren. Und auch wenn die Ausstellung sich ganz offiziell an einer „Annäherung an die private und öffentliche Person wie auch an den Künstler Martin Kippenberger“ versucht, ist ihr gerade dazu erstaunlich wenig eingefallen.
Dennoch ist bemerkenswert, dass Kippenberger, bald zwanzig Jahren nach seinem Tod, auch bei dieser Ausstellung ein weiteres Mal als Prototyp des postmodernen Künstlers und „echter Avantgardist“ vorgestellt und rezipiert wird. Wohl deshalb ist die Kritik sich so auffallend einig über die „ein bisschen fad“ ausfallende Präsentation seiner ansonsten – das wiederum scheint gesetzt – allgegenwärtigen und umfassenden Radikalität. Aber wie kann es sein, dass ein vermeintlich so radikaler (und damit dem Betrieb doch grundsätzlich gefährlicher) Künstler, derart bedingungslos vom Betrieb angenommen und hochgehalten wurde und wird? Von Kittelmann bis Diederichsen – alle lieben Kippenberger.
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Einer für alle: „Einer von Euch, Unter Euch, Mit Euch“, 1977 (© Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain)
Vielleicht lohnt ein Blick auf eine künstlerische Methode, die zu Kippenbergers Zeiten in Kölner Künstlerkreisen Furore machte: die Non-productive Attitude. Sie folgte einer veränderten Auffassung der Rollenverteilung im Kunstbetrieb, wie sie parallel dazu auch die vor allem in den USA rezipierte Kunstsoziologie von Howard S. Becker formulierte. Anstatt den Künstler und seine Produktion im Zentrum der Kunstwelt zu lokalisieren, wird diese vielmehr als Zusammenspiel von sozialen Akteuren mit spezifischen Funktionen begriffen. Jedem Teilnehmer kommt so nur eine stark begrenzte Bedeutung innerhalb systemischer Abläufe zu. Insofern ist der Künstler auch nicht länger alleiniger Produzent, sondern einer unter Vielen, die zu Produktion und Verbreitung von künstlerischer Bedeutung beitragen. Der Künstler steht als relativ gleichberechtigtes Element neben Galeristen, Sammlern, Kritikern, Assistenten und Publikum. Die Konsequenz die einige Künstler, allen voran Josef Strau, aus diesem veränderten Verständnis zogen, war der völlige Verzicht auf künstlerische Produktion. Die Tätigkeit des Künstlers wurde nun vorrangig über seine soziale Funktion definiert, wie auch die übrigen Rollen innerhalb der Kunstwelt hauptsächlich soziale Funktionen erfüllten. Dabei handelte es sich keineswegs um eine Dauer-Performace der betroffenen Künstler, die vielmehr versuchten ihre Rolle so natürlich und ungezwungen wie eben möglich einzunehmen.
Die neue Auffassung über die Struktur der Kunstwelt führte also zu einer gewissen, zumindest theoretischen Gleichberechtigung der einzelnen Rollen und zu einer entsprechenden Abwertung des Künstlersubjekts. Die Reaktion der Non-Productive-Attitude problematisierte einerseits die neuen Umstände, andererseits eröffnete sie neue Wege innerhalb des künstlerischen Diskurses. So wurde der Wert von künstlerischen Artefakten grundsätzlich in Frage und eine Kunstwelt in Aussicht gestellt, die allein auf der Grundlage des sozialen Austauschs und sprachlicher Diskurse basiert. Ebenso wurden die nichtkünstlerischen Rollen im Betrieb aufgewertet und die Wahrnehmung des Betriebs als zusammenhängende Struktur oder – je nach Perspektive – als gemeinsames Verhängnis ermöglicht. Die Non-productive Attitude reagierte also mit einer gewissen Konsequenz auf ein offensichtlich werdendes Problem, suchte neue Wege aus dem vermeintlichen Dilemma der eingebüßten Bedeutung des Künstlersubjekts.

All dies ist wichtig, um das diskursive Klima zu verstehen, in dem Kippenberger tätig war. Aufschlussreich ist es, weil er zwar die inhaltlichen Voraussetzungen mit der Non-productive Attitude teilte, sich in der künstlerischen Reaktion aber deutlich von dieser abzusetzen wusste. Kippenberger begnügte sich nicht mit der marginalisierten Rolle eines sozialen Glieds innerhalb der Kunstwelt, er versuchte im Gegenteil sämtliche Rollen in einem auszufüllen. Dabei ist es gerade die vorangegangene Schwächung des Künstlersubjekts, die ihm als solches erlaubt, sich auch der übrigen Rollen zu bemächtigen. Nicht nur der des Galeristen, des Sammlers, etc., sondern erneut auch der Rolle des (vermeintlich obsoleten) produktiven Künstlers. Dabei spielt allerdings die Qualität der hergestellten Artefakte kaum mehr eine Rolle. Viel entscheidender ist die Geste der Ermächtigung selbst, die eher deutlicher wird, je durchschnittlicher oder kalauernder das Produkt am Ende ausfällt. Denn nur die Ermächtigung ist es, die auch als Reaktion auf die veränderten Verhältnisse zu lesen war und ist.
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Geste der Ermächtigung: Bild aus der Serie „Lieber Maler male mir“ von 1981 (© Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain)
Im Laufe der Zeit hat sich hieraus jedoch ein Problem ergeben. Kippenberger wird zwar bis heute als subversiver und provokativer Charakter beschrieben, doch am Ende sind es auch und gerade die Geste der Ermächtigung und der, meinetwegen persiflierende, Umgang mit klassischen Rollenbildern, die seiner nachhaltigen Aussöhnung mit dem Betrieb den Weg ebneten. So speist sich die heutige Allianz für Kippenberger vor allem aus einer Kombination von klassischer Produktion einerseits, die es Museen und Marktakteuren ermöglichen, seine Artefakte als vollwertige Arbeiten zu behandeln. Sowie andererseits dem dilettantischem Ermächtigungsgestus, Parodie und Witz, aus denen eine sich kritisch verstehende Rezeption die angesprochene Radikalität in Bezug auf wahlweise Kunstbetrieb, Postfordismus oder Biopolitik herauslesen kann. Ein bisschen erinnert das an die berühmte Apple-Strategie, an die Inszenierung als frecher Underdog, der gegen die Marktmacht von Microsoft anrennt. Auch hier folgten Übernahme und Ausbau von Marktmacht der simplen Strategie, einerseits verständliche, aber ansonsten durchaus durchschnittliche Produkte (Artefakte) in die Welt zu setzen, und auf der anderen Seite mit hohem inszenatorischem Geschick die eigene Radikalität und Andersartigkeit glaubhaft zu machen. Bei Kippenberger gelang dies derart effektiv, dass man heute zwar – wie gerade in Berlin – noch schlechte Kippenberger-Ausstellungen machen kann, es aber kaum mehr möglich ist, ihn in seiner künstlerischen Bedeutung zu unterschätzen – einfach weil er von allen konsequent überschätzt wird. Selbst ein Kaspar König würde sich heute kaum nochmal dazu hinreißen lassen, seine Bilder als „Partykeller-Malerei“ zu bezeichnen, was den Punkt in vielen Fällen eigentlich ziemlich gut trifft.
Die posthume Überschätzung Kippenbergers resultiert also aus der bewährten Kommunikationsstrategie, konventionell zu sein und radikal zu erscheinen. Das ist nie langweilig – und nie gefährlich. Nimmt man beide Seiten – die des radikalen Provokateurs und die des konventionellen Künstlers – je für sich ins Visier, wird jedoch vieles schal von dem, was die allseitige Begeisterung für Kippenberger verspricht. Auch bleibt zu fragen, warum die Radikalität der Non-productive Attitude langfristig so wenig diskursive Kraft entfalten konnte, obwohl sie sich zur gleichen Zeit, ja sogar im gleichen (Kölner) Umfeld Ausdruck verschaffte? Ist es nicht möglich, dass die Figur Kippenberger mit ihrer Radikalität im Showformat sogar einen Gutteil dazu Beitrug, dass andere, konsequentere Formen der Kritik in den Hintergrund gerieten? Einfach, weil sein radikal verpackter Reaktionismus leichter zu handhaben oder schlichtweg unterhaltsamer war? Schließlich, um zum Beispiel Apple zurück zu kehren, bedeutete es ja auch Erleichterung sich mit Apple endlich den Duktus avantgardistischer Andersartigkeit anheften zu können, ohne sich in ernsthafte Alternativen wie Linux einarbeiten zu müssen. Kurz gesagt: Kippenberger machte aus der Radikalität der Non-Productive-Attitude ein Bühnenstück, dem man prustend applaudieren konnte, ohne sich wirklich betroffen zu machen. Es muss sich ja auch niemand ernstlich mit Punk beschäftigen, wenn er die Toten Hosen als Talkshow-Gast haben kann. Mit Kippy wird’s halt einfach lustiger in der großen 80er-Jahre-Show.
Auf der anderen Seite steht Kippenberger als klassischer Produzent, als Maler und Bildhauer. Hier trifft es sich, dass man neben ihm gerade einem weiteren Künstler seines Vereins eine große Werkschau widmet: Werner Büttners „Gemeine Wahrheiten“ im Museum für Neue Kunst in Karlsruhe. Neben der Vergangenheit, diversen Kollaborationen und gemeinsamen Auftritten teilen Kippenberger und Büttner nicht nur die ironisch-frotzelnde Grundhaltung, auch in der Machart ist sich Vieles ähnlich: die Sprachverliebtheit, die den Titel gleichgewichtet mit dem Rest der Arbeit, die Liebe zum traditionellen Format (Öl auf Leinwand, Zeichnung) und die gewandte und gewitzte Kommentierung der eigenen Werke, die die Kuratoren beider Ausstellungen gar dazu hinriss, Künstlerzitate über und zwischen die Arbeiten zu kleben, wie man es sonst eher von mittelmäßigen Giacometti-Retrospektiven kennt. Offenbar verunsicherte der werkimmanente künstlerische Mittelfinger in beiden Fällen den Gestaltungswillen der Kuratoren (Udo Kittelmann und Britta Schmitz in Berlin, Peter Weibel und Andreas Beitin in Karlsruhe); die Präsentation von Büttners Arbeiten gleicht jedenfalls dem musealen Verwaltungsakt in den Rieckhallen.
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Werner Büttner: „Die Avantgarde von hinten“, 2011 (© Werner Büttner. Foto: Egbert Haneke)
Nun hat Büttner gegenüber Kippenberger den Vorteil, dass er noch am Leben ist. Er hatte also nicht nur 16 Jahre mehr zu altern, er hatte auch 16 Jahre mehr, den jugendlichen Sturm und Drang – namentlich: den Drang zur Pointe – in eine erwachsene Ironie zu überführen, deren existenzieller Zweck es ist, sich „die Welt in all ihrer Schäbigkeit vom Leib zu halten“ (Büttner). Dass Büttner schon früher besser mit Worten konnte als Kippenberger, ist kein Geheimnis. Ein kurzer Vergleich ihrer zwischen die Arbeiten kuratierten Sinnsprüche legt auch nah, dass seine Pointen tendenziell mehr inhaltliche Tiefe beanspruchen als Kippenbergers Gute-Laune-ABC. Wo grundsätzlich beide Künstler Faible und obendrein Talent zum Aphorismus haben, gelangen dem einen eher solche, die man vielleicht für eine Sommersaison per T-Shirt spazieren trüge – beim Anderen notiert man den einen oder anderen auch mal ins Buch der Letzten Worte: „Da die Welt aus Zahnschmerzen besteht ist Vergänglichkeit ihr bester Verdienst.“
Sicher kennt der Humor von Beiden seine Abgründe, eine inhärente Melancholie. Nicht nur beim philosophierenden Sprücheklopfen, auch innerhalb der Arbeiten. Bei Kippenberger aber wird sie häufiger niedergebrüllt vom Kalauer. Oder, schlimmer noch, mit jovialer Selbstinszenierung überspielt. Die Tragik ist dann oft unfreiwillig. Vielleicht ist es unfair, weil die Melancholie in Büttners Arbeiten tatsächlich mehr Zeit hatte, an Lebenserfahrung zu reifen. Und weil er sich in einer umgebauten Bowlingbahn im fernen Geesthacht über Jahre auch einer gewissen Gelassenheit gegenüber den Aufgeregtheiten des Kunstbetriebs (denen der Marktbühne wie denen des akademischen, ehemals kritischen Diskurses) hingeben konnte. Doch bereits in seinen früheren Arbeiten hat man den Eindruck, dass der künstlerische Selbstbezug es bei Büttner eher schafft, den Bogen zum Allgemeinen zu schlagen. Die Schnittmenge von subjektiver Herleitung und genereller Bedeutung ist schlichtweg größer – spricht er vom Elend, meint er das des Lebens, Kippenberger nur das seine. Beispiel? „Gegen das neue Scheidungsrecht“ nannte Büttner eine Arbeit von 1982: eine an der Wand hängende Holztür, aus der Teile herausgetrennt und symbolisch überkreuzt wieder vorgesetzt wurden (siehe Abbildung unten). Ob die Arbeit einen biografischen Hintergrund hat, ist ziemlich egal, weil der Titel im Zusammenspiel mit der ästhetischen Transformation der Tür beim Betrachter bereits genügend Kopfkino lostreten. Und dieses Kopfkino hat nicht Büttner als Hauptdarsteller, sondern Frauen und Männer, Beziehungen und Trennungen und eine je andere, spezifische Geschichte bei jedem Betrachter. Trotzdem sind diese Geschichten nicht richtungslos oder beliebig, weil Titel und symbolische Geste jene notwendige Tendenz formulieren, die einem Nachdenken über Kunst erst Anlass gibt.
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Werner Büttner: „Gegen das neue Scheidungsrecht“, 1982 (Foto: Harro Wolter)
Nehmen wir eine vergleichbare Arbeit von Kippenberger, etwa den „Entwurf für ein Müttergenesungswerk“ von denen er mehrere Varianten anfertigte. In den Rieckhalten ist die Version Heilbronn zu sehen. Sie besteht aus zwei gestapelten Europaletten auf einem breiten Sockel, der das Format des Architekturmodells aufruft. Die Arbeit lebt in erster Linie von der biografischen Notiz, dass Kippenbergers Mutter einst von einer aus einem LKW fallenden Europalette tödlich getroffen wurde. Ohne diese Information wäre ein darüber hinaus gehender Verweis auf die spröde Baukunst der fünfziger und sechziger Jahre nur ein weiterer lapidarer Schnellschuss. Künstlerische Qualität entsteht bei Kippenberger eben erst mit der von ihm mitgelieferten „Romanfigur Kippenberger“, die seinen Kalauern den Zusammenhang schafft. Das Problem ist: Seine Figur ist weder repräsentativ noch sonderlich interessant... Oder fehlt mir einfach nur dieses Ich-war-dabei-80er-Jahre-Feeling? Kippenbergers durchgehender Selbstbezug wirkt retrospektiv jedenfalls weniger unterhaltsam als aufdringlich und angestrengt. Auch für Kalauer gibt es bessere Ausstellungen.

Kommentare

#1) Am 14. August 20:14 um Uhr von bersarin

Kippenbergers Werk bzw. die Entgrenzung und die endgültige Entrümpelung des Werkbegriffes bei Kippenberger, lebt von der Präsenz. Aktionskunst läßt sich nicht konservieren oder re-inszenieren. Kippenberger zu revitalisieren, ist im Grunde nicht möglich, und es war an dieser Ausstellung im Hamburger Bahnhof das schlimmste die Ah- und Oh-Sager in den Hallen. Ansonsten war diese Ausstellung durchaus witzig und anregend. Wie Du auf Didi Hallervorden kommst, ist mir nicht ganz klar. Aber Kippenberger hätte es sicherlich gefallen. Auch Deine Kritik vielleicht.

Hochgelobt vom Markt wurde Kippenberger als er tot war. Wie so viele.

Richtig freilich ist es, daß der pure Gestus der Provokation irgendwann ins Leere läuft und verpufft, wenn man nicht mehr auffährt. Es bleibt die Spaßkunst. Wie es auch Dada erging. Das Cabaret Voltaire kann man nur einmal machen. Klüger verhielt sich da sicherlich Duchamp mit seinen hochkomplexen und philosophisch aufgeladenen Artefakten.

Es verhält sich übrigens bei allen Ausstellungen, wo keine aktuelle Kunst gezeigt wird, derart, daß sie etwas Angeranztes und Abgelaufenes haben. Was sollte am Werk von Wols oder von Turner noch interessant sein? Vorbei, verweht, abgelaufen. Wie auch Turner war Kippenberger ein Kind seiner Zeit. Ein wenig muß man ihn sicherlich aus dem Geist des Punk und der 80er Jahre begreifen. Er veranstaltete die letzte und ins Leere auslaufende Provokation des Kunstbetriebs. Und dann wurde irgendwann auch die Provokation nur noch zur Mode.

Aber es gibt durchaus ernstere Aspekte im Werk Kippenbergers. Wenn Sie seine Photographien und Bilder, die unter dem Titel „Floß der Medusa“ ausgestellt wurden, gesehen hätten, würden sie sicherlich nicht an Didi Hallervorden, sondern vielleicht an solche Formen von Selbst(re)präsentation wie bei Bruce Naumann denken.

Was ist Kunst heute, was ist Gegenwartskunst?: Marktgeschehen und Zeitschriften wie Monopol oder der Kunstteil in der Zeit, der zurecht gleich Kunstmarkt heißt. Oder aber man bietet Krams wie Jeff Koons: Kunstgewerbliches Wirken. Wie das meiste. Geben wir es ruhig zu: die Avantgarden haben sich zu Tode avantgardisert, sie laufen leer, drehen im Kreis. Wie überschrieb Peter Bürger einen seiner Aufsätze: „Das Altern der Moderne“. Und mit ihr altert die Postmoderne. Und diesen Tod bringen Künstler wie Kippenberger auf den Punkt. Mit Witz und Klamauk und dämlichem Dada-Spaß: „Palim Palim“: dies ist insgesamt der Klang der postmodernen Kunst. Hegels These vom Ende der Kunst ist rund 190 Jahre später die Realität des Kunstmarktes. Kippenbergers Kunst deutet darauf mit lachender Geste.

#2) Am 25. August 12:49 um Uhr von Annika Bender

Nicht Hallervorden selbst, sondern seine markierende Lache. Stellvertretend auch für das Zwanghafte: der immergleiche Rhythmus, alle fünf Minuten eine Pointe – keine Entwicklung. Nur: Was ist der Unterschied zwischen gutem Stand-Up und Schlechtem?

Vielleicht hätte die Ausstellung dagegen arbeiten können. Sie hat es nicht. Die Zustände soll man auslachen – einverstanden. Das Problem bei Kippenberger liegt woanders. Er mag begabt gewesen sein als Entertainer, als grafischer Witzeerzähler, er wird aber nicht als solcher rezipiert. Warum? Er würde kaum herausragen. Es gab und gibt Andere, auch Bessere.

Kippenberger wird als bedeutender Künstler rezipiert und hat selbst den größten Wert darauf gelegt. Was also ist sein künstlerisches Programm? Über den Tod der Kunst zu lachen?

Die Logik dahinter wäre dann mit dem politischen Programm von Die Partei vergleichbar. Funktioniert in Anbetracht fortschreitender politischer Desillusionierung fantastisch. Besser als jeder andere Wahlkampfauftritt! Erleichterung! Was aber, wenn Die Partei tatsächlich die Wahl gewänne? Hofft man nicht insgeheim darauf, dass sie dann doch alles anders, integerer und besser machten? Und zwar gerade weil ihre Angriffe vorher so bitter waren, aber doch offenbar getrieben von einer (enttäuschten) Liebe zur Politik.

Warum funktioniert Kippenberger nicht in den großen Hallen? Weil er die Wahl dann gewonnen hätte. Kippenberger hat für diesen Fall aber nicht mehr als den lachenden Zeigefinger und eine öde Parodie auf den männlichen Überkünstler. Das funktioniert als Angriff aufs Establishment. In Amt und Würden erhoben, wirkt es genauso hohl wie die falsche Seriösität, gegen die er anätzt. An dieser Stelle, in dieser Position hätten andere Ansätze den Diskurs weitergebracht.

Das Problem heute ist weniger Kippenberger, als eine Rezeption, die krampfhaft versucht, ihm irgendeine progressive Bedeutung anzudichten. Im Rückblick kann man jedoch mit einiger Sicherheit sagen, dass Kippenbergers Position zwar eine zeitgeschichtliche Resonanz erfahren hat, dass sich deren Bedeutung für die Entwicklung eines kritischen Potentials innerhalb der Kunst aber stark in Grenzen hält.

PS: Die Fotografien mit dem Titel „Floß der Medusa“ habe ich gesehen. Ich halte sie nicht für große Kunst. Der Bezug zu Nauman ist nur im ersten Schritt plausibel: die kargen Schwarzweißfotografien, das Selbstporträt, der Künstler als Material. Jedoch verfolgte Nauman zehn, zwanzig Jahre vor Kippenberger ein völlig anderes Interesse. Vor allem fehlt seinen Bildern dieser biografiegeschwängerte Selbstbezug, der bei Kippenberger so schnell auf die Nerven geht.

#3) Am 26. August 15:40 um Uhr von fk

eigentlich wollte ich mit dem bersarin gar nicht mehr debattieren, seit er in einer diskussion in seinem blog bei mir mal den godwin gebracht hat. aber gut was solls, da ich ja auch auf eich beide verlinkt habe: schwamm drüber.

deshalb hier mal kurz die zwischenfragen. in welchem teil von hegels werk muss ich denn suchen, wenn ich mich etwas näher mit "Hegels These vom Ende der Kunst" beschäftigen möchte? (und ich will jetzt aus bestimmten gründen nicht google fragen). das wäre ja in der tat mal ein anlass diese immer noch offene bildungslücke mal zu schliessen.

ansonsten, dank an euch beide, sowohl für die artikel als auch für die ausführlichen kommentare. das macht freude zu lesen.

hgfk

#4) Am 31. August 22:51 um Uhr von Bersarin

@ Annika Bender Hat Kippenberger ernsthaft Wert darauf gelegt, als Künstler anerkannt zu werden? Diese Frage, diese Grenze zwischen Kunst und Klamauk läßt sich bei ihm nicht mehr bestimmen, weil diese Ironie, dieses Spiel mit Bedacht und mit Absicht einer Festlegung ausweicht. Vielleicht ist alles Produzieren nur ein grandioser „Rock 'n' Roll Swindle“. Aber das wußte im Grunde schon Sigmar Polke: „Höhere Wesen befahlen …“. Und gerade deshalb bleibt Kippenberger im System Kunst, weil er zum letzten oder auch zum vorletzten Mal das Ende der Kunst als einer autonomen in einem bürgerlichen Sinne verkündet. Wie bereits im Dadaismus, in dessen Tradition Kippenberger steht. Das unendliche Kreisen um das Ende der Kunst. Allerdings angereichert um Pop Art und Punk. Gerade weil sich die Ebene von Kritik der Kunst samt Popkultur als Amüsement und Ausbruch in einem bei ihm durchdringen (von vermitteln will ich nicht sprechen), setzte er in seiner Zeit einen Akzent. Er unterminierte die Kunst, indem er aus ihr einen großen Spaß machte. Das eben zeigte auch diese Retrospektive im Hamburger Bahnhof. Ob man das „Werk“ Kippenbergers musealisieren kann, bleibt eine andere Frage. Diese Schau rekonstruierte zumindest und tippte einige Aspekte im Schaffen Kippenbergers an. Wie es im Grunde jede Retrospektive macht.

Nicht Kippenberger selbst ist das Problem, sondern die, welche ihn in einem Kunstbetrieb vereinnahmten, aus dem sie ihn seinerzeit draußenzuhalten versuchten, um sein Werk dann (nachdem er tot war), um überhaupt Werke zu überteuerten Preisen zu verkaufen. Kunst als autonome hat ausgedient und ist eine Ware geworden wie ein Gucci-Schuh oder ein Anzug von Armani. Hirst brachte es affirmativ und zugleich als Kritik in seinen Werken auf den Begriff. Eine seltsame Weise von Kunst-Ironie: die Kunst als Wertschöpfungsmaschine anzuprangern und zugleich von ihr zu partizipieren. Genau das zeigt auch Kippenberger als Wesen der Kunst unter den Bedingungen des Monopol-Kapitalismus (Lustig, daß eine Zeitschrift, die mehr auf Event als auf Kunst aus ist, „Monopol“ sich nennt). Angemessen begreifen kann man Kippenberger wohl nur aus der Attitüde des Punk. Jeder ein Star für 15 Minuten (Warhol), und jeder kann Musik machen, weil nur drei Akkorde nötig sind. Ein im Grunde so schäbiger wie genialer Diletantismus. Aber Kippenberger ironisiert auch dieses Moment von Punk, von Kunst überhaupt.

Wenn ich die Wahl zwischen Oda Jaune, Kommerz-Kuratorinnen wie Julia Stoschek oder Kippenberger habe, ist mir letzterer schon lieber. Aber am Ende, da haben Sie recht, kann niemand das System Kunst verlassen. Ausgenommen Künstlerin oder Künstler verstummen, wie eine der Figuren Becketts. Weshalb dieser immer noch der avancierteste Künstler bleibt, weil er dem Erlöschen und Verglühen von Kunst überhaupt zum angemessenen Ausdruck verhalf.

#5) Am 31. August 22:52 um Uhr von bersarin

Sie schreiben es ganz richtig: Kippenbergers Kunst ist an die Präsenz gebunden. Das gilt insbesondere und überhaupt für Kunst als Happening bzw. ganz allgemein dort, wo es um die Aufführung geht. Darin berührt sie sich mit dem Theater. Oder was wäre Nitsch, wenn man ihn zehn oder fünfzehn Jahre nach seinem Tod ins Museum brächte, und was blieb von Beuys? Aber einmal ketzerisch gefragt: Gilt das nicht für alle Kunst? Ein Manet in den Pariser Salons des 19. Jhds seinerzeit ist eben ein anderer als in einer Retrospektive. Da unterscheiden sich Kippenberger und Manet nicht. Allenfalls im Werkbegriff. Jedes Museum, daß eine Rückschau macht, musealisiert. Das zeigte sich insbesondere an der Dresdener Schau „Die Erschütterung der Sinne“. Nichts wurde da erschüttert. Es wurden Bilder gezeigt, an denen die Besucher – Bilder und Themen rekonstruierend – in Reihe vorbeimarschierten. Gelangweilt oder interessiert schauend. Delacroix‘ „Verwundeter Räuber“, dem das Blut aus dem Mund schoß, der da trinkend-sterbend am Fluß lag, erschütterte wohl die wenigsten. Ausgenommen die vielleicht, die einen geschulten Blick besitzen und historisch denken.

Das „Floß der Medusa“ wirkt bei Kippenberger körperlich, gerade weil es so unsauber und aufgeladen mit einer Biographie ist. Ich bin ansonsten kein Verfechter biographie-positivistischer Deutungen und mich interessiert das Leben eines Künstlers im Grunde nicht die Bohne. Aber bei Kippenberger handelt es sich eben um die Inszenierung von Leben, nicht um Leben selbst. Die Präsenz bei ihm streicht sich damit zugleich durch. Es ist eine Show. Wie auch die Kunst selber zum Ausgang des 20 Jahrhunderts, an dem Kippenberger mitwerkte, und heute erst recht.

@ fk Hegels These zum Ende der Kunst findet sich in den „Vorlesungen zur Ästhetik“. Dort stehen dazu einige Stellen, relativ am Anfang im ersten Band und das ganze rekapitulierend im dritten Band zum Ende hin. So aus dem Kopf geschrieben. Um das genauer zu schreiben, müßte ich nachlesen und die Textstellen heraussuchen. Interessant dazu, gleichsam als Überblick, das Buch von Eva Geulen, Das Ende der Kunst, ebenso Alexander García Düttmann, Kunstende. Ein weites Feld dieses Thema, man kann es, sieht man von Hegel ab, für den Kunst als eine Weise des subjektiven Geistes am Ende nur angemessen in der Philosophie sowie der Religion sich realisierte, auch von Benjamin und Adorno her aufrollen, was mir vielversprechender erscheint. Aber natürlich bleibt Hegel der Ausgangspunkt für die Moderne.

Im Sinne der Eigenwerbung verweise ich natürlich auch auf meinen Blog, in dem ich dieses Thema in immer wieder umkreisenden Variationen abhandele.

http://bersarin.wordpress.com/

#6) Am 8. September 10:16 um Uhr von Engel des Vergessens

Dass die Kunst derart verstummt, wäre doch nur dann sinnvoll, interessant und ein Gewinn, wenn sie tatsächlich in Hegels Sinn negiert und "aufgehoben" würde, wie es die Situationistische Internationale einst dringend empfahl. Das ist ja aber nun überhaupt nicht geschehen. Oder vielleicht auch doch, unmerklich, eiin bischen. Aber jedenfalls nicht in einer inspirierenden Weise (ich nehme nicht an, dass die Situationisten die derzeitige Flut prämierter und groß ausgestellter, "kritischer" Postkolonialismus-Gender-Überwachungskritik-Doku-Kunst sonderlich goutiert hätten). Daneben existiert eben die gute alte Kunst von früher parallel als merkwürdiger Zombie oder Wiedergänger weiter, eben als Ware, die sich zum lebendigen Original so verhält wie eine Krokolederhandtasche zum Krokodil. Also das alles, was hier und anderswo schon so oft zurecht und ohnmächtig beklagt wurde. Den Situationisten schwebte ja nun was ganz anderes vor und sie dachten da schon in weitaus größeren Dimensionen, weil ja klar ist, dass wenn der gute alte Kapitalismus weiterexistiert, das eben diese Zombie-Begleiterscheinungen mit sich bringt und nicht eine Transformation eines abgegrenzten Denk- und Handelsfeldes "bildende Kunst", "Ästhetik" in so etwas wie eine andere, neue, umfassendere und vom Menschen aus gedachte Politik (von Meeses elitär-verquastem Geschwafel ist das übrigens kilometerweit weg, denn wenn der Mai 68, an dem die S. ja begeistert mitzündelten, etwas war, dann demokratisch). Also ich finde es aber auch schwierig, dann noch zu sagen, es ist heute noch attraktiv, diese oder jene Kunst zu machen, und sei sie noch so smart. Da wäre Nichtstun oder zumindest Heimlichtuerei doch tatsächlich die angemessene Alternative, aber die Leute denken halt pragmatisch und wirtschaftlich, "jetzt hab ich das doch studiert und wo soll denn sonst das Geld herkommen", "am wichtigsten ist doch, sich gut zu verkaufen", und so geht der alte Stiefel halt immer so weiter. Nebenbei, ich würde vermuten, dass es 100erte bis 1000ende Kippenbergers gab damals und heute, aber man braucht halt immer mal wieder einen, den man gepflegt als Modell dessen abfeiern kann, und der muss dann natürlich einzigartig sein. Die anderen randexistieren halt weiter irgendwo vor sich hin und sind villeicht in ihrer Clique oder auf Youtube irgendwie wichtig, aber nicht auf dem herbstlich abgeernteten "Feld der Kunst".

#7) Am 9. September 16:34 um Uhr von Birdy & Bambi

Habt ihr schon den Christo- Balon im Gasometer gesehen?

Sehr empfehlenswert: http://lasagnolove.blogspot.de/2013/09/wir-sind-langsame-denker-ii.html

Grüße aus dem Ruhrgebiet,

Bambi und Birdy