Niklas Maak ist nicht wirklich überzeugt von der achten Berlin Biennale: „Sie wäre eine kluge Schau über den umgekehrten ethnologischen Blick auf die Dinge unserer Gegenwart – wenn sie sich mit weniger Platz begnügt hätte. Weil aber Biennalen immer Massen an Kunst an vielen Standorten zeigen, musste noch mehr Kunst her, und an dieser Stelle taten sich die Kuratoren leider etwas schwer.“ Swantje Karich hat in Paris einem anderen Kurator über die Schultern geschaut: dem Musiker Pharrell Williams. Dessen professionelle Happyness scheint derart einnehmend, dass ihre Kritik am Celebrity-Spektakel relativ sanft ausfällt. Dagegen ist Hans Peter Riegel von Marina Abramovićs Versuch, ihr Lebenswerk mit einem dafür gegründeten Institut vor der Vergänglichkeit zu bewahren, offen genervt: „Die Gefahr, hierbei nicht nur bissige Kritik zu ernten, sondern ihre künstlerische Reputation vollends zu opfern, scheint sie in Kauf zu nehmen.“ Auch der Abramović Methode, die mit Lady Gaga immerhin eine prominente Fürsprecherin hat, kann er nichts abgewinnen: „[…] ein zusammenhangloser, mit esoterischem Hokuspokus garnierter Mix aus bruchstückhaften Yoga- und Meditationsübungen.“ Ebenfalls für die Welt berichtet Marta Gnyp von angeblich vermehrten Spekulationen mit sehr junger zeitgenössischer Kunst. Dabei versucht Gnyp, die selbst als Art Consultant tätig ist, dieses sogenannte „Artflipping“ historisch zu begründen. Neben der Machtverschiebung von den Managern zu den Shareholdern, findet sie noch eine weitere Ursache in den 90er-Jahren, als nämlich der Prototyp des Künstlers jene „öffentliche Persönlichkeit mit Strahlkraft [wurde], die visuell attraktive und konzeptuell unterhaltsame Werke produzierte und nicht wirklich die Absicht hatte, gesellschaftliche Konventionen zu bedrohen.“ Eine neue Texte zur Kunst ist erschienen, bleibt allerdings noch ungelesen, da Abonnenten das Heft immer erst drei Wochen nach Erscheinen erhalten (eiserne Regel!). Offenbar kommt die Ausgabe diesmal mit Regionalteil: „Berlin Update“ heißt der Titel, der u.a. Artikel von Isabelle Graw zu den Veränderungen ankündigt, die die Kunststadt in den letzten Jahren erfuhr. Als Thema liegt Berlin offenbar in der Luft, war doch in den letzten Monaten auch international immer öfter die Rede davon, dass die Stadt den Zenith seines Hypes überschritten habe. Eine lesenswerte Besprechung von Ai Weiweis aktueller Berlin-Ausstellung haben die Blog-Kollegen von Castor & Pollux vorgelegt. Dabei widmen sie sich auch den politischen Verstrickungen rund um die Ausstellung, schließlich „[...] geht es in ‚Evidence’ nicht darum, das Talent und Schaffen eines großartigen Künstlers zu würdigen. Denn das ist Ai Weiwei nicht – das offenbart ‚Evidence’ schon nach wenigen Minuten.“ Wolfgang Kemp erklärt in der aktuellen Zeit den Autor von „Warum Photographie als Kunst so bedeutend ist wie nie zuvor“ zu einem Dramaturgen in eigener Sache: „Michael Fried schreibt nicht, er parliert auf offener Bühne, kommentiert (oft sich selbst), […] präsentiert mit einer Ehrfurcht, die gegen die Standards der Wissenschaft verstößt, die Äußerungen der Künstler selbst, […] und ohne dass er es aufs Tapet bringt, merkt man ihm an, wie sehr er theory, das poststrukturalistisch Geschwurbelte, hasst […]“ Zu guter Letzt ein Interview mit Cory Arcangel auf Rhizome, in dem er über seine gerade vorgestellte Modecollection Surfware und über seine frühere Liebe zu Fast Food spricht. Fun Fact: „I don't even think I drank water until I was thirty. It's true. Seriously.“
Lesezirkel
Die Presseschau für Kunst und danachErwin Wurm nervt. Darin stimmen nach Begehung seiner Ausstellung im Frankfurter Städel Art Magazin und Franfurter Allgemeine überein. Julia Voss empfiehlt in der Mitte ihres Textes dringend, nicht nur die „Rolle des Betrachters“ zu hinterfragen. Stattdessen sollten die Leser „ die Versuchsanordnung einfach umdrehen und für die Dauer des verbleibenden Artikels nicht sich oder die Rolle des Betrachters hinterfragen – sondern die des Künstlers.“ Auch in der neuen Art hat Autorin Sandra Danike Mitleid mit den interaktiven Betrachtern von Wurms One-Minute-Sculptures: „Die stetige Wiederholung macht aus dem Statement einen müden Kalauer. Und aus einem unbedarften Kunstfreund kein Werk, sondern eine Lachnummer.“ Ausgerechnet Vice fragt Jürgen Teller, ob das Interessensgebiet von Nobuyoshi Araki, mit dem Teller jüngst in Wien ausstellte, nicht etwas begrenzt sei: „Tokio, Essen, Sex, Menschen, Landschaften, seltsames Zeug. Das ist genug für mich!“, entgegnet Teller. In die Rubrik „seltsames Zeug“ fällt bei Vice vermutlich auch ihre kleine Einführung ins Werk der Yes-Men. Im Hamburg-Teil der Zeit beschwert sich Daniel Haas über die postkonzeptionellen Routinen jener zeitgenössischen Künstler, die für die Ausstellung „Lichtwark revisited“ angehalten waren, einen Blick auf Hamburg zu werfen. Noch mal Hamburg: Das Abendblatt interviewt den anonymen „Kunstbeutelträger“, der 40.000 Euro aus der Stadtkasse an Künstler seiner Wahl verteilt. Im Gespräch hält er (oder sie) die Form herkömmlicher Kunstförderung generell für überschätzt: „Manchmal ist eine bestimmte Kneipe für die Entstehung einer Bewegung entscheidender als ein Stipendienprogramm.“ Das anonyme Projekt wird nun für ein Jahr verlängert. Die (anonyme) Donnerstag-Redaktion findet das natürlich begrüßenswert. Nachträglich hingewiesen sei noch auf das Interview, das Konkret für seine letzte Ausgabe mit Michaela Melián führte. Und für den Gänsehaut-Faktor außerdem auf die YouTube-Grusel-Kollabo von Chriestie’s und Skateboarder Chris Martin. Picasso Baby!
Berlin feiert das zehnjährige Bestehen des Gallery Weekends. Dabei bemerkt die FAZ: „Die Galeriewelten treiben auseinander, und die Architektur bildet das ab. Vor fünfzehn Jahren waren die jüngeren Berliner alle auf einem relativ ähnlichen Niveau in ähnlich großen Räumen, meist Wohnungen oder Lagerräumen, gestartet. Diese mittlere Größe gibt es fast nicht mehr: Galerien sind entweder riesig geworden oder winzig oder weg.“ Dazu passt das Interview, das Monopol mit dem Galeristen Jörg Johnen führte. Unter dem Stichwort Nestléisierung kritisiert der die Konzentration der Marktmacht auf ein paar wenige internationale Großgalerien. Im Gespräch zwischen dem Tagesspiegel und dem Galeristen Javier Perez geht es weniger seriös zur Sache, sondern um Perez' ehemals exzessivem Berlin-Lifestyle. Online ist auch das Berlin-Interview von Frieze d/e: Jan Kedves und Dominikus Müller sprachen ausführlich mit Daniel Pflumm, der in den 90ern vor allem mit textentleerten Leuchtreklamen bekannt wurde, aber auch als Club- und Label-Betreiber aktiv war und ist. Die Hintergründe eines Kunstfälschungsskandals beleuchtet Patrick Bahners für die FAZ. Dabei wurde von einem der traditionsreichsten Kunsthandelshäusern New Yorks vermeintliche Werke des Abstrakten Expressionismus unters neureiche Volk gebracht. Gesamtschaden: 33 Millionen Dollar. Auf Artnet schreibt Benjamin Sutton über die erste Einzelausstellung von Kunstmarktliebling Oscar Murillo bei seiner neuen Hausgalerie David Zwirner. Dort hat er eine komplette Süßigkeitenfabrik aufbauen lassen, die für die Dauer der Ausstellung Schoko-Marshmallows ausspuckt. Suttons Fazit: „Murillo’s installation is intended to raise questions about labor, globalization, outsourcing, and migrant workers. [...] Instead, this comes off as an over-produced, under-thought conceptual apparatus.“ Auch lesenswert: „From Jimmy Carter to Hitler, 10 Politicians Who Tried Their Hands at Art“. Und zum Schluss noch die wiederentdeckten Computerarbeiten, die Andy Warhol Mitte der 1980er mit dem Amiga „gemalt“ hat.
Zwei Kunstmagazine haben renoviert. Monopol hat ein paar Kanten geschliffen, Art hat Wände eingerissen. Tatsächlich ist das ältere und immer noch größere der beiden Magazine kaum wiederzuerkennen. Das berühmte rote Logo hat Farbe eingebüßt und ist in die Mitte gerückt. Darunter titelt, lackiert und mit leuchtenden Farben unterlegt, die neue Hausschrift: die Quadon. Auch sie trägt dazu bei, dass von der bisherigen, klassischem Erscheinung wenig übrig blieb. Das Heftinnere ist unruhiger, aber auch lebendiger geworden. Bei Monopol sind viele Linien verschwunden, mehr Weißraum und Ruhe fürs Auge. „Klarer, übersichtlicher, lesefreundlicher“, erklärt Chefredakteur Holger Liebs die Marschroute. Es scheint fast als wollten hier zwei Konkurrenten ihre Rollen tauschen: Art als aufgeregter Pulsmesser für Zeitgenössisches, Monopol als unerschrockener Klassiker. Der (neue) Schein trügt, denn im Ganzen bleibt der Deal mit der Leserschaft der Gleiche: Art richtet sich ans große Publikum, das sich für Kunst interessiert, doch weniger für die Befindlichkeiten der Szene (was wahrscheinlich für das Gros der Museumsbesucher gilt). Deshalb die bewährte Mischung aus kunstgeschichtlichen Häppchen und opulenten Reportagen zum „Abenteuer Kunst“. Das neue Erscheinungsbild verlagert lediglich das Gewicht etwas mehr auf Letzteres. Mit neuen Rubriken will man außerdem mehr Meinung und Kontroverse wagen – und mehr Zeitgenossenschaft. Das wird der Sache gut tun, solange man sich vom selbstgesetzten Bildungsauftrag nicht völlig verabschiedet. Bei Monopol ging es schon immer mehr ums Dazugehören und Bescheidwissen. Wen wundert es, dass die Zeitschrift bei Facebook um einiges beliebter ist als ihre große Schwester bei Gruner+Jahr. Monopol ist eben immer auch Lifestyle. Leider hat man auch nach dem Relaunch an seiner anstrengenden Faszination für die eigene Coolness festgehalten und feiert sich im Vorwort als „Zentralorgan für den ästhetischen Alltag“. Zum Zehnjährigen kann man das nachsehen, aber auch sonst sagt kaum ein Kunstmagazin so oft „wir“ wie bei den Großspur-Rhetorikern aus Mitte. Eine Emanzipation aus der leidigen Verwurzelung in Generation Golf und Neuem Bürgertum sind die Neuerungen jedenfalls nicht. Auch das auf dem Titel tönend angekündigte „Exklusiv“-Interview mit Gerhard Richter ist in Wahrheit nur ein Vorabdruck aus dessen Katalog. Immerhin: Monopol ist lesefreundlicher geworden (auch im Vergleich zur neuen, zappeligen Art), an manchen Stellen aber auch unübersichtlicher. Rubrikseiten, die aussehen wie Anzeigen – Auktions- und Ausstellungskalender, die sich zum Verwechseln ähneln. Trotzdem bei den Großen also einiges in Bewegung ist, gilt für beide immer noch: Oft reicht ein kurzer Scan am Kiosk. Zumindest was die Auswahl der Themen und besprochenen Ausstellungen angeht, gab es zuletzt häufig einen lachenden Dritten. So auch diesen Monat: das Ende der De:Bug, frühe Netzkunst, Rimini Protokoll, FORT und Diedrich Diederichsen – allright! – meine 10 Euro gehen auch diesmal an... Frieze d/e.
Der Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert die bisher größte Ausstellung von Ai Weiwei – und nahezu alle überregionalen Zeitungen besprechen feierlich. Zum Ausgleich sei auf zwei Verrisse verwiesen: Leo Fischer, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, schreibt für Neues Deutschland eine polemische Abrechnung mit der „dicken alten Trantüte“, während die Welt sich eher sachlich den offensichtlichen Schwächen Weiweis künstlerischer Praxis zuwendet. Jerry Saltz schreibt bei Monopol über das wachsende Selbstbewusstsein von spekulierenden Sammlern, das sich in einem „Neuen Zynismus“ äußere – exemplarisch in den Äußerungen des Sammlers und Kunsthändlers Stefan Simchowitz. Eine von Simchowitz' Weisheiten: „Im Kunstbusiness braucht man heutzutage dicke Eier!“ Ein „Plädoyer für die Freiheit der Kunst“ hält Hans-Joachim Müller im Feuilleton der Welt. Anlass ist die Entscheidung des Museum Folkwang in Essen, eine angekündigte Ausstellung mit Polaroids abzusagen, die der Maler Balthus vor seinem Tode als Studien geschossen hatte. Zu sehen: ein nacktes, minderjähriges Modell, zum Teil in zweideutigen Posen. Besorgt schreibt nun Müller: „Dass die Kunst immer recht hat, dass es sie auch in der rigidesten Form geben muss, weil es eben draußen vor den Gesetzen, Normen, Sitten, Konventionen, vor all den Maxima und Minima Moralia so etwas wie einen Sperrbezirk der unantastbaren Freiheit geben muss, das könnte inzwischen als gesellschaftliche Grundvereinbarung zum Problem geworden sein.“ Aus der News-Section von Artnet: Eine Besprechung der aktuellen Ausstellung von George W. Bush, die unter dem schönen Titel „The Art Of Leadership“ im George W. Bush Presidential Center in Dallas dessen Malereien versammelt. Und ein Bericht über die Eröffnung der Silicon Valley Contemporary, einer Kunstmesse die vor allem mit New-Media-Art auf die Technikbegeisterung der kalifornischen IT-Elite setzt. Bei manchen Galerien durfte sogar mit Bitcoins gezahlt werden... Apropos Technik: Die Informatikabteilung der Uni Konstanz hat einen Roboter entwickelt, der mit Pinsel und Farben malt und dabei wirklich verblüffende Ergebnisse erzielt.
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#62) Presseschau vom 2. Juni 2014