Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

WIENFLORIAN PUMHÖSL: 6 7 8

Überhöhung der Salzstange

3. April 2011 von Erik Stein
"Wenn man sich mit Rodtschenko, Pollock und Charles Ives befasst, ist das ja nicht sehr subtil.", gesteht der 1971 geborene Österreicher im Interview mit der Museumszeitung, "Da hat man quasi ein paar Hauptgerichte bestellt."

Florian Pumhösel bittet zu Tisch: Sein aktuelles Menü für das Wiener Museum Moderner Kunst (MUMOK) schickt sich an, als beträte man ein 3-Sterne-Restaurant. Mächtig beleuchtete Ein- und Durchgänge, kostbares, historisch verbrieftes Designmobiliar und Servietten aus Seide würden einem bereits die pure Ergebenheit abverlangen. Der Garçon hielte einen beeindruckenden halbstündigen Vortrag über die Philosophie der modernen Küche, die Sensibilitäten gustatorischer Wahrnehmung und den zeitgenössischen Geschmacksdiskurs. Nach einer vollen Stunde kostbaren Wartens, nein Meditierens, käme er mit einem gigantischen, rundherum glänzenden Teller aus der Küche, in dessen Mitte eine einsame Salzstange platziert wäre. Ein einfaches Stängelchen, in nichts unterschieden von den bekannten Produkten aus dem Supermarkt, nur dass man vom ganzen Zirkus um das winzige Stück Salzgebäck kaum mehr anders kann, als den Fehler bei sich zu suchen: Das muss wohl so!
Florian Pumhösel ist ein Meister dieser Das-muss-wohl-so-Politik. In den titelgebenden Etagen 6, 7 und 8 des MUMOK hat er sich die passenden Hallen für seinen Gottesdienst an der einsamen Linie bauen lassen. Die kathedrale Architektur geht dabei auf das Konto der Mitte-Yup's vom Büro „Kühn Malvezzi“. Auf der Ebene 6 haben sie Pumhösel einen strahlenden White Cube hingestellt, in den dieser eine 13-teilige Folge von Glasscheiben gehängt hat. Die „Malereien“ auf Glas („Diminution“, 2010) wirken hier eher wie Drucke, aber zu sehen ist eh wenig: Auf den unregelmäßig angeordneten Bildern – mal gruppieren sich drei, mal fünf, mal zwei und mal sechs Bilder (das muss wohl so) – platzierte der Künstler je ein bis zwei dünne Linien in verschiedenen Formationen, wobei diese natürlich „keiner formalen oder mathematischen Logik folgen“. Das visuelle Ergebnis, dem man hier andächtig gegenübersteht, ist nämlich nicht Folge eines Konzepts, sondern einer „Untersuchung“.
Heimlich und vor allem leise, weil in der großen Halle noch der Fall einer Stecknadel lärmen würde, regt sich der ketzerische Gedanke, ob diese „Untersuchungen“ womöglich nicht mehr sind als Nebelschwaden, und ob die eigenen visuellen Untersuchungen bewusst offen gehaltener Formationen während längerer Telefonate nicht mehr ästhetische Erkenntnis produzieren. Weit gefehlt, belehrt das Gesangsbuch, denn hier geht es um mehr. Zitat Pumhösl: „Ausgangspunkt war die Auseinandersetzung mit der Darstellung eines Subjekts und die Grundbehauptung, dass ein Strich so etwas wie ein Porträt oder ein Individuum bedeuten kann.“ Glückwunsch Herr Pumhösl, die „Grundbehauptung“ wurde mit Nachdruck widerlegt.
Auch beim nächsten Raum, der sich auf derselben Etage hinter dem weißen Kubus auftut, beeindruckt zunächst die elementare Architektur. Man hat das Gefühl als betrete man ein schwarzes Bild. Bis wenige Zentimeter vor Beginn des Raumes, der komplett in tiefes Schwarz gehüllt ist, glaubt man vor einer dunklen Wand zu stehen. Auch hier aber bildet die Qualität des Inhalts einen weitestgehenden Kontrast zur Schwere der räumlichen Inszenierung. Einzige Lichtquelle im Raum ist ein Film – die zweite von insgesamt drei Arbeiten der Ausstellung. Titel: „Expressiver Rhythmus“. Der Appetit erregende Vortrag des Garçon ist in diesem Fall besonders umfangreich, schließlich „basiert“ die Arbeit auf einer gleichnamigen Gouache von Alexander Rodtschenko. Diese steht im konstruktivistischen Werk von Rodtschenko relativ einsam, zeigt sie doch ein ziemlich chaotisches, expressives Formengewirr, das tatsächlich etwas an Jackson Pollock erinnert. Ein weiterer Ausgangspunkt sind Landschaftsfotografien Rodtschenkos, die dieser im Nordwesten Russlands für eine sowjetische Propagandazeitung anfertigte. Eine Ausgabe dieser Zeitung liegt in einer Vitrine vor der „schwarzen Wand“. Wenn man zudem noch erfährt, dass Pumhösl samt Kameramann auf den Spuren Rodtschenkos ins russische Karelien gefahren ist und mit dem amerikanischen Komponisten Charles Ives sogar noch einen weiteren historischer Bezugspunkt im Gepäck hat, darf man wohl zu Recht gespannt sein, was einen in der Black Box erwartet.
Nun, die 30-minütige Montage besteht im Grunde aus drei sich abwechselnden Teilen, die Das-gehört-wohl-so-Pumhösl mit einigen zähen Sekunden dazwischen hintereinander geschnitten hat. Es wiederholen sich also die Gouache von Rodtschenko – Pause – dann ruhige, durchaus hübsche S/W-Aufnahmen von russischen Baumkronen – Pause – und schließlich etwas Klaviermusik von Ives vor schwarzem Bildschirm. Letztere natürlich streng disharmonisch und verschroben. Es geht hier schließlich nicht um Poesie sondern um wichtige ästhetische Untersuchungen. Pumhösl: „So wie es Blödsinn wäre, etwas zu machen, dass poetisch ist, ist es dumm, etwas machen zu wollen, das schön ist.“ Diesem Maßstab wird er in dieser Arbeit vollkommen gerecht: eine halbstündige nervenzehrende Demonstration künstlerischer Arbeitsverweigerung die sich jeder Poesie, jeder Schönheit, leider Gottes aber auch allem Anderen verweigert, das eine gewisse ästhetische Komplexität verlangen würde. Dank der mächtigen Referenzen und denkbar banaler Verbindungslinien (Wahnsinn: Die chaotischen Linien von Rodtschenko haben tatsächlich Ähnlichkeit mit im Winde wankenden Baumkronen!) muss es aber mehr sein. Ja, so steht es geschrieben: „Florian Pumhösl bringt das abstrakte Formenvokabular der Moderne mit politischen Ereignissen oder sozialen Fragestellungen in Verbindung und konfrontiert es mit den räumlichen Bedingungen des Ausstellungsraums“. Ja genau, dreh den Swag auf!
Auch bei der dritten Arbeit („Tracts“, 2011) hat man für eine Filmprojektion einen riesigen Museumsraum leer geräumt. Der Museumswächter leuchtet mit der Taschenlampe zur Projektion am Ende des Raumes und der Gang dorthin erinnert etwas an die Psychologie von Büroarchitektur und die entsprechend langen Wege zum Schreibtisch des Chefs. Der geloopte 9-Minüter gibt sich wieder bedächtig langsam: vor schwarzem Untergrund zieht eine Linie einfache Formationen, was pro Zug etwa 20 Sekunden dauert. Dem Begleitschreiben darf man entnehmen, dass es sich bei den Linien um Tanzfiguren handelt, die man in frühbarocken Notationen „Tracts“ nannte. Außerdem erfährt man, das Pumhösl die Projektion als eine Komponente des Raumes begreift (aha!), und dass der Film natürlich „bewusst offen“ lässt, welcher Ordnung die Bilder angehören. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Frechheit dieser Ausstellung besteht darin, dass der offensichtliche und an sich gar nicht verwerfliche monumentale Pathos ihrer Architektur, im krassen Gegensatz steht zu der akademischen Kunst-als-ästhetische-Forschung-Attitüde, mit der sich Künstler und Kurator verbal herausputzen. Zumal die so heroisierten Arbeiten zu den behaupteten Forschungsgegenständen (Moderne, Abstraktion, Raum) nicht die geringste Relevanz begründen können.
Mit dem achten Geschoss erreicht man den einzig lohnenden Ort dieser Ausstellung. Es ist eine von Florian Pumhösl und Matthias Michalka gemeinsam kuratierte Sammlungspräsentation des Museums, die hier in verschiedene Aspekte der Abstraktions- und Raumkonzepte der Moderne aufgeteilt wurde (Titel: „Abstrakter Raum“). Es empfiehlt sich jedoch an dieser Stelle auf eine weitergehende Beschreibung zu verzichten, weil die Präsentation im Zusammenhang mit dem aufgeblasenen Banalitätenkabinett der unteren Geschosse nur deren historische Rechtfertigung betreiben möchte. Das ist schade um viele der hier oben gezeigten Exponate, passt aber nur zu gut zur dreisten Anmaßung von Bedeutung, die die gesamte Inszenierung dieser mageren Pumhösl-Schau durchzieht.

Kommentare

#1) Am 6. September 00:57 um Uhr von Florian Pumhösl

Sehr geehrter Herr Stein, Ich habe mir lange überlegt, ob ich Ihnen antworten soll. Ich nehme zur Kenntnis, dass ihnen meine Ausstellung nicht gefällt, aber ich denke, dass es in ihrem Text zu viele persönliche Beleidigungen gibt, um das so darstehen zu lassen. Man kann so einfach nicht über andere schreiben. Sie schreiben hier nicht ins Leere. Ich bin recht betroffen von Ihrer Mentalität. Mit besten Grüßen, Florian Pumhösl

#2) Am 6. September 00:57 um Uhr von Erik Stein

Sehr geehrter Herr Pumhösl, es tut mir wirklich leid, wenn Sie sich beleidigt fühlen. Es lag nicht in meiner Absicht sie zu beleidigen oder zu kränken. Allerdings sehe ich auch nach nochmaligem Lesen nicht, dass ich Sie in dem Text persönlich beleidigen würde. Die Kritik mag harsch sein, zuweilen polemisch, aber wenn ich Sie kritisiere, dann als Autor einer Ausstellung, deren Inszenierung ich im Verhältnis zur relativen Banalität ihrer ästhetischen Konstruktion als ziemlich aufgeblasen empfand. Ich gebe zu, dass mich über ihre Ausstellung sehr geärgert habe und dieser Ärger auch im Text spürbar wird. Solange ich nicht auf die Argumentation verzichte, sehe ich darin aber kein Problem. Nehmen Sie es also bitte nicht persönlich. Der offene Streit über Qualität und Wert von künstlerischen Arbeiten gehört doch eigentlich zu den dankbaren Errungenschaften der Moderne. In anderen Feldern der Kunst - vergleichen Sie nur einmal die leidenschaftliche Rezeption von Theateraufführungen - wird dieses Erbe auch engagiert noch gepflegt. Ich habe manchmal den Eindruck, der zeitgenössischen bildenden Kunst ist diese Leidenschaft der Auseinandersetzung vielfach abhanden gekommen. Nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Mit freundlichen Grüßen Erik Stein

#3) Am 7. September 00:58 um Uhr von Florian Pumhoesl

Sehr geehrter Herr Stein, Es muss verführerisch sein, sich eine Öffentlichkeit zu erfinden, in der man sich selbst Persilscheine ausstellen kann. Das hat jedoch mit dem "offenen Streit über Qualität und Wert von künstlerischen Arbeiten, der doch eigentlich zu den dankbaren Errungenschaften der Moderne" gehören soll, längst nichts mehr zu tun. Um es klar auszudrücken: Ich denke, dass Formulierungen wie etwa "Das-gehört-wohl-so-Pumhösl" klar in sprachliche Muster der Denunziation fallen. Mein Name ist Florian Pumhösl. So etwas schockiert mich. Beleidigt oder gekränkt bin ich nicht. Mit besten Grüßen, Florian Pumhösl

#4) Am 7. September 00:58 um Uhr von Erik Stein

Sehr geehrter Herr Pumhösl, an keiner Stelle des Textes richte ich mich gegen Sie persönlich, auch nicht an der von Ihnen zitierten. Angesprochen ist der Künstler Florian Pumhösl, der unter eben diesem Namen eine Ausstellung zu verantworten hat, die ich aus benannten Gründen kritisiere und ablehne. Hätten Sie beispielsweise unter einem Künstlernamen ausgestellt, hätte ich diesen verwendet. Sowenig wie ich, können Sie sich einen Persilschein auf Unangreifbarkeit ausstellen, auch und gerade dann nicht, wenn Sie als Künstler ein öffentliches Museum bespielen. Mit besten Grüßen Erik Stein

#5) Am 7. September 00:58 um Uhr von Florian Pumhösl

Sehr geehrter Herr Stein, Vielen Dank für die Konversation. Mit besten Grüßen, Florian Pumhösl