Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BERLINWO STEHST DU, KOLLEGE?

Wetten, dass... Kunstkritik?

20. Januar 2011 von Paul Cohn
Abbildung zu
Gala mit Staraufgebot: Ausstellung und Symposium zum Jubiläum
Eine unlängst in Berlin gefeierte Galashow der bekannten Kunstzeitschrift "Texte zur Kunst" hinterließ in manchem Kopf ein pessimistisches Bild über den aktuellen Zustand kunstkritischer Reflexion in Deutschland. Den zwanzigsten Geburtstag der Zeitschrift hatte man zum Anlass genommen, eine dringende Aufgabe in Angriff zu nehmen. Die Abwesenheit einer expliziten Auseinandersetzung mit den Methoden der Kritik zeitgenössischer Kunst sowie der eklektische Mix von verschiedenen Methoden in der Kunstgeschichte mache es notwendig, über die eigenen Verfahrensweisen kritisch zu reflektieren. Methodenreflexion - die Wissenschaftlichkeit der Kunstkritik, ihr Wert, ja ihre Legitimation stehen damit auf dem Spiel. Solche großen Ansagen scheinen aber heute davon befreit, ihr Versprechen am Ende einlösen zu müssen. Stören tut das die Wenigsten. Die große Klappe gehört in der Kunst heute zum guten Ton. Diese Gala wollte hip und sexy sein, mit einem Hauch von Glamour, erinnerte aber vielmehr an eine Mischung aus „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ und „Wetten dass...!“
Einer schwülstigen Ansprache zum zwanzigsten Geburtstag der Erfolgszeitschrift folgte Diedrich Diederichsen mit einer Polemik gegen den gegenwärtigen Kunstbetrieb, deren sarkastische Geste dem Publikum das Signal zum Lachen gab. Wer sich hier mehr erwartet hatte als das, was man als Teil des Kunstbetriebs sowieso jeden Tag erleiden muss, ging leer aus. Die undialektische und unhistorische Rede wiederholte vielmehr frivol, beschwingt, begeistert die schlechte Wirklichkeit, als dass sie versuchte über diese hinaus zu denken. Ihren krönenden Abschluss fand diese lustige Kritik daher auch im defätistisch, zynischem Ausruf: "So, where do I stand, collegues?!" - als wenn es eigentlich nichts mehr zu sagen gibt, wir aber wenigstens noch zynisch, kritisch, lustig uns unsere eigene prekäre Situation wie einen Spiegel vorhalten können. Eine diskursive Gemeinschaft entsteht und existiert aber nur dadurch, dass man sich überhaupt noch etwas anderes zu sagen hat als das, was sowieso schon da ist. Anstatt Einbahnstrassen wurden hier nur noch Sackgassen gebaut.
Dann wurde der Ton ernster. Andrea Frasers künstlerische Praktiken, so Sabeth Buchmann, gäben immer noch Anhaltspunkte, wie und von wo aus eine Kritik an den von Foucault formulierten biopolitischen Herrschaftsmechanismen in der postfordistischen Gesellschaft zu benennen sei. Aber ist es nicht irgendwie bedenklich, wenn die Künstlerin, deren Kunst die Kritikerin zum Maßstab für zeitgenössische kritische Kunstpraktiken erhebt, diese gerade aus Enttäuschung über den Kunstbetrieb, seine Diskurse, Widersprüche und Resistenz gegen Kritik und Veränderung sowie nicht zuletzt über die Theoretisierung ihrer eigenen Kunst schon an den Nagel gehängt hat? Ja, die Kritikerin weiß und fordert, dass die Kunstkritik sich selbst einer Kritik unterziehen muss, dass sie die Effekte ihres Fokus’ auf sozial kritische Kunstpraktiken, die heute zum wichtigen Bestandteil von Kunst als Ware geworden sind, reflektieren muss. Das Wissen davon blieb aber konsequenzlos. Paradoxerweise ist ja gerade die Auseinandersetzung mit Frasers kritischen Arbeiten ein sicheres Rezept für den um sie gestrickten Diskurs, weil man sich bei ihr eine ordentliche Scheibe kulturelles Kapital abschneiden kann. Aber dieser Wiederholung der immer gleichen Floskeln und immer gleichen Positionen kann man nicht mehr mit Langeweile begegnen. Diese Form der wiederholenden Selbstreproduktion ist selbst zum Problem geworden.
Der Auftritt Andrea Frasers inszenierte unbewusst eine Antwort darauf, warum die affirmative Theoretisierung ihrer künstlerischen Praxis problematisch ist. Die melancholisch gereizte Diva brachte lebendig zum Ausdruck, dass die zeitgenössische Kunstwelt sich Orte geschaffen hat, wo alles gesagt, gehört, genossen und diskutiert werden kann, um dann ohne Konsequenz zu verhallen – auch eine kritisch defätistische Haltung wie die der Künstlerin. Kunst beschäftige sich heute obzessiv mit sozialen, ökonomischen und politischen Fragen. Ihre kritischen Forderungen entlarven sich aber zunehmend als illusorisch. Die Spaltung zwischen dem, was man tut, und dem, was man darüber sagt oder nicht sagt, zwischen dem, was sich ereignet, und wie dies besprochen, interpretiert und repräsentiert wird, lasse den Kunstdiskurs immer widersprüchlicher erscheinen. Dazu gehört aber auch die Unfähigkeit, aus der eigenen Kritik selbst Konsequenzen zu ziehen. Obwohl nicht mehr künstlerisch tätig, lässt sie es sich nicht nehmen, auf Versammlungen wie dieser, um die es hier geht, im Rampenlicht zu stehen und ihre Haltung der melancholischen Entsagung zu genießen. Auch die postkonzeptuelle Theoriebildung braucht ihre tragischen Helden und dafür gibt sie sich bei Zeiten gerne her. In Wahrheit ist das aber nicht mehr tragisch, sondern schon Komödie.
Eine optimistische Harmonie in der allgemeinen kunsttheoretischen Kakophonie stimmte die über alles erhaben zu sein scheinende Isabelle Graw an. Mit strahlendem Lächeln ans Rednerpult getreten, dann plötzlich mit ernsthafter Miene und selbstbewusster Geste ging die, die sich selbst eine Veteranin nennt, die lange gekämpft hat, an die Rettung der Kunstkritik unter dem Slogan: "revisit social art history". Walter Benjamin sagte einst von dieser Sorte Kritiker: "je tiefer der Brustton der Überzeugung desto stinkender ist ihr Atem." Die sozialkritische Kunstgeschichte habe zuerst erlaubt den Fokus vom einzelnen Kunstwerk auf die sozialen Bedingungen seiner Produktion und Rezeption zu verschieben. Aber in dem Maße, in dem sie das Kunstwerk auf die sozialen Bedingungen seiner Produktion zurückgeführt und die Grenzen zwischen beiden aufgelöst habe, verbürgte sie der Kunst auch die Macht ihren sozialen Kontext zu beeinflussen. Sozialkritische Kunstgeschichte habe das Kunstwerk animiert, es zu einem quasi lebendigen, agierenden Subjekt erhoben und auf diese Weise überschätzt – so die These. Methodologische Rettung aus dieser Antinomie verspricht sich die Veteranin nun davon, dass man genau das Gleiche weiterhin tun solle, nur eben in einer approximativen Art und Weise. Anstatt zu sagen, dass dieses oder jenes Kunstwerk dieses oder jenes offenbare, solle man sagen, dass es dies oder jenes vorschlage, dass Kunstwerke versuchen, etwas zu sein, anstatt dass sie dieses oder jenes sind, dass sie etwas fordern, anstatt dass sie etwas haben oder geben. Ganz nach der Manier: Gestern hätte man zuviel von "diesem" gemacht. Ab heute solle man deswegen doch einfach weniger "dieses" und mehr "jenes" tun. Jeder kann so weitermachen wie bisher, nur nicht ganz so doll, bitte! Wer sich davon heute die methodologische Rettung der Kunstkritik verspricht, ist selbst nicht mehr zu retten. Sich selbst eine sozialkritische Kunstkritikerin nennen, aber unfähig sein, die gesellschaftlichen Bedingungen der eigenen Kunstkritik und methodologischen Reflexion zu leisten – das kann man nicht anders als eine Selbstdisqualifikation bezeichnen. Die Reflexion der eigenen Position geht hier gerade so tief zu sagen, dass Kunstkritik obwohl Teil der Gesellschaft, sich von deren Wertschöpfungslogiken imaginativ dissoziieren und einen Standpunkt außerhalb der sozialen Realität einnehmen könne, indem sie sich diesen vorstellt. Was für eine wahrhaft produktive Einbildungskraft muss eine solche Kunstkritik haben. Darüber hinaus seien die Kritiker die am wenigsten kompromittierten, da sie nicht so viel Geld verdienen – nicht so viel wie potenziell ein Künstler heute verdienen könne. Was soll man dazu sagen? Solche Wahnvorstellungen über die soziale Welt, die Logik des Kapitals und die Wirkungsweise von Ideologie sind nicht nur naiv sondern selbst schon gefährlich. Dieser Aussage muss man aber auch ihre Deutlichkeit anerkennen. Klar, hier geht es nicht darum, die Methodik der Kunstkritik und ihre Theoretisierung zeitgenössischer Kunst zu reflektieren geschweige denn zu historisieren. Hier geht es darum, selbst von niemandem schlecht und von allen gut gefunden zu werden. Es geht um die eigene Position. In diesem Limbodance vereinigte die routinierte Veteranin große Virtuosität mit strengem Bürokratentum und selbstbewusster Lässigkeit. Das Kapital dieser kreativen Verwalterin besteht darin, aus dem gehüteten Arsenal nichts mehr sagender Floskeln sich außerordentlich innovativ, mit Geschick und Fleiß zu bedienen, Altes neu zu verpacken, eloquent zu vermitteln und in Umlauf zu bringen. Von kritischer Selbstreflexion hinsichtlich der eigenen Methoden, der eigenen Geschichte, der eigenen Legitimität, kann man wohl weiter entfernt kaum sein.
Doch das Spektakel hatte auch seine wirklich tragischen Helden. Ein frenetisch vorgetragener Appell von Franco Berardi zur Widerständigkeit gegen die „Finanzdiktatur Europa“ verhallte in der fulminanten Architektur des festlichen Theatersaals. Der "general intellect" sei auf der Suche nach einem sozialen Körper, die Wahrnehmung und der Einsatz desselben die große Aufgabe der neuen Generation. Kunst habe sich nicht in den Dienst von Aktivismus zu stellen. Vielmehr aktiviere Kunst Sensibilität und Formen der Wahrnehmung sozialer Beziehungen. Kunst besitze daher eine therapeutische Funktion in besagter großen Aufgabe, die uns bevor stehe. Ohne diesem meine unbedingte Zustimmung zu geben: Hier hatte jemand Mut zum Experiment und machte dabei seinen politischen Standpunkt deutlich. "Die Epoche des Zynismus ist vorbei!" Um so tragischer, dass das Publikum es ihm mit seinem Lachen anders bewies. Vielleicht hatte man sich ihn von vorneherein als Clown eingeladen? Vielleicht war die Geste zu ernst gemeint, um von den Versammelten ernsthaft verstanden zu werden? Die nicht beabsichtigte Komik wurde zur Tragik, das verschmitzt zynische "yes, and now something maybe less uplifting..." des am Rednerpult folgenden Bürokraten zu einem Schlag ins Gesicht.
Schnell hatte sich die Gala als tragisch-komische Farce entpuppt. So war es nicht verwunderlich, dass der erwartungsgemäß beste Vortrag des Abends von Benjamin H. D. Buchloh ein pessimistisches Bild des Status Quo der Kunstkritik zeichnete. Seine dialektisch vermittelnde Historisierung des gesellschaftlichen und kunstgeschichtlichen Geschehens der letzten Jahrzehnte hatte es mit solchen Transformationen des kulturellen Apparats zu tun, die paradoxerweise nur von Warhol in ihrem Ausmaß antizipiert worden seien: Die umfassende Verzahnung von Kunst und Markt. Zweierlei Symptome begleiteten diese Transformation: Erstens die Geburt eines neuen sozialen Typus; ein blinder Konsument von Kultur, aber privilegiertes Mitglied der Gesellschaft mit Zugang zu allen modernen Kommunikationsmitteln, angeschlossen an einen neuen Apparat kultureller industrieller Produktion von zuvor nicht existierendem Ausmaß; zugleich der neue Betrachter der Kunst und Archetyp des postmodernen Hyper-Konsumenten; ein Allesfresser. Das Feld der Kunst wurde so zu einem Teil der Fashion-Industrie und Kunstpraktiken in den herrschenden Neoliberalismus integriert. Zweitens die Deprofessionalisierung des Kritikers als Teil einer allgemeineren Entwicklung zum De-skilling der Laisser-faire-Ideologie und des neoliberal gestimmten Pluralismus. Die Stimme des Kritikers oder Historikers habe heute kein Gewicht mehr. Augenscheinlich sozial kritische Praktiken seien heute gänzlich fetischisiert und der Sphäre politischer Möglichkeiten entzogen. Im Feld kultureller Produktion gebe es heute keine Rettung, keine Erlösung, keinen Freiheit mehr von den universalen Gesetzen der kapitalistischen Produktion. Kritisch aufklärende Kunst sei korrumpiert, doch besitze Kunst noch das Potential, die gesellschaftliche Totalität zu transzendieren. Insofern sei es notweniger als je zuvor, dass Kritiker, Historiker und Künstler, sich mit den Strategien und Logiken dessen auseinandersetzen, mit dem sie täglich konfrontiert sind. Der korrumpierte Zustand der Kunstwelt verbietet es, heute euphorisch die emanzipatorischen Möglichkeiten der Kunst zu preisen. Dieser Vortrag klang auf weiten Strecken wie eine harte Kritik an kunstkritischen Positionen wie sie durch "Texte zur Kunst" vertreten werden. Die Autorität dieses bekannten Kunstkritikers aus Übersee hätte einer expliziten Kritik des deutschen Kunstblatts sicherlich Gewicht gegeben, aber er ließ auf sich warten und schwieg. Dass er nicht einverstanden war, war offensichtlich. Die Kritik blieb aber allgemein. Dass das Lumpenproletariat oder besser die Lumpenbourgeoisie, von der er sprach, direkt vor ihm saß, haben sicherlich wenige verstanden. Nur aus einer einzigen Äußerung ergeht aus dieser Rede eine Forderung an uns: "the necessity to annihilate as condition of artistic production". Aufhören; sich selbst zu Ende bringen; nicht ewig sich selbst reproduzieren; Platz machen; die Dinge beenden, nicht der Zerstörung wegen, sondern um des Weges willen, den sie versperren; es darf nicht ewig so weitergehen.
Wenn die Gala dieser bekannten Zeitschrift für zeitgenössische Kunst eines gezeigt hat, dann dass dieses Diktum auf sie selbst anzuwenden ist. "Texte zur Kunst is here to stay" klang daher vielmehr wie eine Drohung als ein Versprechen. Konzeptkunst, Kontextkunst, Institutionskritik, postkonzeptuelle Kunst – ihre Theoretisierung bewegt sich heute im immer Gleichen, dreht sich um sich selbst. Die Konzeptkunst der 60er/ 70er Jahre stellte selbst die radikalste Trennung von ästhetischem Wert und künstlerischer Arbeit dar. Als Idee-Kunst war sie Ausdruck der postfordistischen Gesellschaft. Ihre Mutter war die historische Avantgarde, ihr Vater vielleicht Wittgenstein. Und der analytische Geist der Konzeptkunst durchweht heute noch immer die postkonzeptuelle Theoriebildung. Vergeblich versucht sie einst klinisch Abgetrenntes, das Gesellschaftliche künstlerischer Arbeit, wieder begrifflich anzunähen. Dass das eigentlich vergeblich bleibt, ist dabei völlig irrelevant. Nur nicht aufhören zu reden. Das allgemeine Feindbild ist der abgeschlossene Diskurs – daher der Zwang noch allem etwas Interessantes abzugewinnen.
Weil die Zirkel, Cliquen und Sippen in dieser Kunstszene all dies teilen, versteht man sich auch insgesamt gut und freut sich der einzelnen kindischen Zwists, über die sich mit Vergnügen reden lässt. Man hat sich arrangiert und es sich gemütlich gemacht. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn einer von jenen, die beim Publikum eine Stimme haben, gegen einen anderen laut werden würde. "Don’t worry, we don’t expect anybody to fully justify their existence here." Alles beruht auf der Gewissheit, dass keiner dem anderen sein Spiel verderbe. Wirkliche Kämpfe gibt es nicht. Jeder will nur beweisen, dass er die neueste Manier beherrscht und mit dirigiert. Daher auch immer nur die gleichen Namen. Diese Kritik hat es verlernt zu kritisieren, und händigt in ihren Lobpreisungen nur Bürgschaften aus. Schlimm, dass sie das beim Publikum noch nicht um ihren Kredit gebracht hat. In der Wüste sieht wahrscheinlich auch die hässlichste Blume schön aus.
Aber da es hier auf den ersten Blick nicht nur um unbefangene Geschmacksurteile zu gehen scheint, stellt sich die Frage welcher sachliche Aufriss, welche politische Strategie dieser kritischen Tätigkeit unterliegt. Ja welche politische Strategie denn? - doch nur eine des seichten Reformierens, des Bewahrens der eigenen Position, des Feierns der eigenen Errungenschaften, der institutionalisierten Lethargie. Einen ähnlichen Tatbestand beschrieb Walter Benjamin Mitte der 1930er Jahre in "Der Autor als Produzent" in Bezug auf die neue Sachlichkeit. Hier wird ein Produktionsapparat bloß beliefert, wenn auch mit Stoffen kritischer Natur, aber nicht versucht ihn möglicherweise zu verändern. Seit fast hundert Jahren müsste klar sein, dass der bürgerliche Produktions- und Publikationsapparat in der Lage ist, Massen revolutionärer und emanzipatorischer Themen zu assimilieren und propagieren, ohne damit die Verhältnisse in Gefahr zu bringen. Heute besitzen erhebliche Teile kritischer Kunstkritik, das hier gefeierte Kunstblatt gehört dazu, gar keine andere gesellschaftliche Funktion mehr als den versteinerten Verhältnissen Unterhaltsames abzugewinnen. Geändert hat sich die Funktion der Theorie. Den 1930er mussten kritische Denker wie z.B. Max Horkheimer in "Traditionelle und kritische Theorie" noch eine Feindschaft gegen Theoretisches überhaupt attestieren. In der Kunstwelt dagegen ist Theorie heute wichtiges Element des Wertschöpfungsprozesses. Sie selbst ist Teil der Abwehr gegen jegliche verändernde Tätigkeit geworden. Das theoretische Ornament täuscht darüber hinweg, dass es hier in Wahrheit nichts mehr zu sagen gibt. Diese theoretisierende Planlosigkeit und Maßlosigkeit ist eigentlich gar nicht mehr als Kunstkritik zu begreifen, sondern nur die Kehrseite des florierenden Rezensierbetriebs, mit dem der Kunstjournalismus in den letzten Jahrzehnten die Kunstkritik zugrunde gerichtet hat. Diese kritisch sich gebarende Kritik weiß immer nur ihr eigenes Urteil auszusprechen, welches immer irgendwie belanglos ist.
Der ideologische Charakter dieser Selbstbeweihräucherungsshow lag damit offen zutage. Er hatte sich in den arg gemütlichen Sesseln auf der golden beleuchteten Bühne, den Falten der Jacketts und Abendkleider mittlerer Preisklasse, dem ewig währenden Grinsen der Feiernden, den pathetischen Worten, netten Floskeln und zynischen Witzeleien, die man an dem Abend austauschte, eingenistet. Mit den Zwanzigjährigen feierte hier die gehobene Mittelschicht, die nach der letzten Krise ihren „way of life“ gerade noch ins Trockene retten konnte. "Glück gehabt, wir können so weitermachen wie zuvor." Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Erschlaffung und Harmlosigkeit der Kunstkritik hat dies aber noch sein Gutes: nämlich überhaupt ein Gesicht. Der zeitgenössische Kunstbetrieb trägt die affirmative Organisation des Optimismus der oberen Mittelschicht, deren flache Gesundbeterei offen zur Schau. Altes wird in neuem Gewande neu verkauft. Die Propheten predigen das Immergleiche. Nichts bewegt sich aber alles meint sich in ständiger Erregung. Dass es mit Wahrscheinlichkeit so weitergehen wird, ist der pessimistische Gedanke, den wir uns heute aneignen müssen; dass es nicht so weitergehen kann, dass damit Schluss sein muss, die notwendige Forderung unserer Gegenwart.

Kommentare

#1) Am 28. Februar 01:40 um Uhr von Daniel

Wenn dieser Text den Status Quo schildert, was bleibt zu sagen? Die Frage nach der Rolle des Kritikers, deren Traktierung auf dem Symposium dieser Text kritisiert, stellt sich meines Erachtens auch hier (Nimmermüde zur Kritik der Kritik der Kritik)

Als Diagnose verstehe ich folgende Aussage: "Das theoretische Ornament täuscht darüber hinweg, dass es hier in Wahrheit nichts mehr zu sagen gibt."

Dann ist der Schluss unbefriedigend, der lautet ja einfach "dass es nicht so weitergehen kann, dass damit Schluss sein muss, die notwendige Forderung unserer Gegenwart."

Wohin kann die Methode der Kritik noch führen, außer zur Delegitimation ihres Anlasses? Welche positiv-programmatische Aussage könnte der Kritiker machen?

p.s.: Der Text wäre viel besser lesbar, wenn es Zwischenüberschriften gäbe.

#2) Am 23. März 01:40 um Uhr von Paul

Lieber Daniel, danke für deinen Kommentar und entschuldige die späte Antwort. Einerseits hast du Recht damit, dass sich auch in Bezug auf meinen Text, den du als Kritik der Kritik bezeichnest, die Frage nach der Rolle des Kritikers stellt. Andererseits tut sie das in diesem Kontext meiner Meinung nach nur aus einer bestimmten Perspektive, die letztlich, wie du es schön demonstriert hast, in der Frage nach der Kritik der Kritik der Kritik usw. in die schlechte Unendlichkeit geht. Ich selbst verstehe meinen Text aber gar nicht als Kritik, sondern vielmehr als Polemik oder, wenn du so willst, destruktive Kritik. Daran gebunden ist die Frage nach der Kritikwürdigkeit des Gegenstandes. Diese Frage würde ich im Falle der Gala oder sagen wir lieber spezifischer Positionen, die sich dort präsentierten und verallgemeinernd stellvertretend sind für "Texte zur Kunst", als "Nein" im Sinne von nicht-kritikwürdig beantworten. Kritk versucht zu retten, Polemik will zerstören. An Positionen wie der von Isabelle Graw und anderer im Zirkel von TzK gibt es nichts mehr zu retten. Das sind persönliche Wertungen und Standpunkte, kurz gesagt Meinungen, die nicht verwendbar sind, bloß zuliefern und aufgegeben, als gleichgültig erklärt und abgeschafft werden müssen. Der destruktiven Kritik schwebt dabei aber kein Bild vor. Es geht darum, Platz zu schaffen, nicht der Zerstörung, sondern des versperrten Weges willen. In deinem Kommentar zu meinem Text kritisierst du diese Haltung als resigniert und wünschst dir mehr "positiv-programmatische Aussagen". Genau das entspricht aber einer Ideologie, die die Unterwerfung des Denkens eine subtile Zensur will, welche darin besteht, am Ende immer einen positiven Beitrag, einen Vorschlag, das Bild eines Besseren oder Anderen, eine "positiv-programmatische Aussage" leisten zu müssen. Denken müsse das Positive, das es will, ausmalen. Tut es das nicht, ist es resignierend und wird als solches sogleich im Namen von entweder Optimismus oder Apologie denunziert. "Positiv-programmatische Aussagen" dienen nur dem, was sowieso schon ist. Sie, die ja eigentlich auf das Unverwaltbare zielen, können leicht verwaltet oder als Objekt einer brutalen Widerlegung zum gefundenen Fressen für diejenigen werden, die sich auf diese Art und Weise selbst bestätigen müssen. Es geht um frische Luft, Platz schaffen. Das wäre überhaupt die Voraussetzung für etwas anderes. Mit herzlichen Grüßen aus Berlin, Paul

#3) Am 24. März 01:40 um Uhr von Anton

Allerdings: Es gibt in Andrea Frasers Beitrag (der übrigens in der aktuellen TZK abgedruckt wird, ebenso wie alle anderen Beiträge des Symposiums) ein paar wirklich schöne Stellen.

Etwa die über die aus dem Ruder gelaufene 'Verneinung' des Kunstdiskurses, dessen sozialen und politischen Interessen "allgemein lediglich das zu sein (scheinen), was Bordieu 'besondere, in hohem Maße sublimierte und verbrämte Interessen' nannte, gerahmt als Objekte der Untersuchung, Objekte intellektuellen oder künstlerischen Einsätze".

Aber am Ende hast du wohl Recht und Fraser ist lediglich unsere "Heilige Johanna der Schlachthöfe". Wir müssen ernstlich aufhören positiv zu denken.