Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HAMBURGHEIKO NEUMEISTER & JOHN SMITH

Müde Essayisten

8. März 2013 von Annika Bender
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Die „Hotel Diaries“ von John Smith in der Galerie Dorothea Schlüter (Courtesy the artist and Tanya Leighton Gallery, Berlin)
Beginnen werden die Meisten mit den acht Fotografien von Heiko Neumeister. Sauber gerahmt verteilen sie sich im Galerieraum, dessen geschmeidiger, von der Firma Vorwerk gesponsorte Veloursteppich den Titel der Ausstellung karikiert: „Großzügige Sachzuwendung“. Gemeint ist natürlich und eigentlich die künstlerische Zuwendung zu den Sachen, dem „Krams“, wie es im Begeleittext heißt. Auf Neumeisters Fotografien konkretisiert er sich in Stuhllehnen, aufgespürten Lampenfüßen oder zufälligen Geometrien von Landschaft. Das steht für sich genommen erstmal ohne erkennbaren Zusammenhang und ist fotografisch auch einigermaßen durchgenudelt. Die dargestellten alltäglichen Szenen öffentlichen Lebens reichen nicht, eine bestimmte Perspektive oder Ästhetik zu erzwingen. Es mag daran liegen, dass die Motive zu nebensächlich sind – oder derer zu wenige. 300 solcher Bilder hätten womöglich eine ganz andere künstlerische Signifikanz ausweisen können. So aber hängt die allein an der akkuraten und schweren Rahmung aufs Beiläufige angelegter Motive.
Im Gegenteil dazu bestechen die Videos von John Smith (die „Hotel Diaries“, 2001-2007) durch ihren – entsprechend dem Inhalt – bewusst lapidaren Umgang mit künstlerischem Material und Gerät: Gefilmt wurde mit Handkamera, ohne jede Vorkehrungen zur Steigerung der Bildqualität. Der aus dem Off sprechende Künstler sinniert in mit tiefer sonorer Stimme, in einer – manchmal quälend langsamen – Genügsamkeit und Weitschweifigkeit über ähnlich beiläufige Begegnungen mit diversem „Krams“. Oft kling es als wäre er einfach müde, ein wenig desinteressiert. Der Inhalt mäandert zwischen alltäglichen Anekdoten und eher unmotivierten politischen Statements. Auffällig ist der wechselnde Fokus: manchmal steht der gefilmte Ausschnitt im Mittelpunkt der Erzählung, manchmal eine bildfremde Begebenheit, während die Kamera dann zufällig erscheinende Bilder einfängt. Mal sinniert er über die Deckenverkleidung in seinem Hotelzimmer, während er ebendiese filmt, dann darüber, wie er sich einmal in einem anderen Hotel nachts ausgeschlossen hat. Manchmal ist es auch schlicht die provozierend beiläufige Art, wie der Künstler spricht, die sich in den Vordergrund spielt. Die Aufmerksamkeit pendelt also in einem Dreieck aus Bild, Inhalt und Sprache – mit wechselnden Führungsansprüchen.
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Vom Erzählstil eingenommen: der Ausstellungsraum bei Dorothea Schlüter mit Fotografien von Heiko Neumeister und Videos von John Smith (Foto: Galerie / Courtesy Tanya Leighton)
Schließlich ist der so forcierte weitschweifige Betrachtungsmodus derart dominant, dass er auch die Sicht auf die Fotografien einschließt. Die sind nicht länger nur hübsche aber unzusammenhängende Alltagsausschnitte, sondern Teil eines Essays, für den Smiths Arbeiten die unbedingte Grundlage bilden. Neben dem erwähnten dreiteiligen Aufmerksamkeitspool seiner Videos entsteht so ein vierter: der des übrigen Krams im Ausstellungsraum, der sich nun, auch dank der einnehmenden Szenografie von Volko Kamensky, hervorragend in die Erzählungen einbindet. Neben den Fotografien gilt das gleichermaßen für die auf einem Regal ausgebreiteten Zeichnungen auf kleinen Notizzetteln. Auch sie werden Teil eines Szenarios irgendwo zwischen Müdigkeitsgesellschaft und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.
Es ist erstaunlich: Wären die Videos von Smith eine Bildbearbeitungssoftware, sie wären mit jedem Dateiformat kompatibel. Die Videos sind in der Lage fast jedes beliebige Objekt in ihre dezentralen Perspektive einzuordnen. Da ist es fast schade, dass die Fotografien in ihrer forcierten Banalität den Videos schon im Grundsatz ähneln. Es wäre womöglich noch spannungsreicher, sie mit wirklichen Herausforderungen zu paaren – und im Streit um Bedeutung dann trotzdem gewinnen zu sehen. Man fängt an sich auszumalen welchen Effekt die filmische Perspektive auf sakrale Objekte hätte, auch solche der Moderne, wie abstraktem Expressionismus oder Kino.
Doch auch ohne das bleibt die Ausstellung ein ziemlich überzeugendes und unbedingt sehenswertes Plädoyer für die essayistische Arbeitsweise. Deren größter Trumpf ist die Assimilierung. Mit assoziativer Leichtigkeit und der Möglichkeit zu weichen inhaltlichen Überblendungen bleibt ihr kaum ein Bereich verwehrt. Und sie passt wie maßgeschneidert in eine Galerie, die dank der eigensinnigen Sprachverliebtheit ihrer Macher schon lange die besten, weil undogmatischsten, eben essayistische Einladungs- und Begleittexte in Deutschland verfasst. Trotzdem drückt der Schuh am Ende. Denn mit ihrer ganzen verführerischen Beiläufigkeit verlieren die Erzählungen auch jeglichen gesellschaftlichen Druck. Und dass Konzentrationsschwäche und Lethargie auch Symptome einer inaktivierten und unfokussierten, mit der Schwere des Krams gänzlich überforderten Gesellschaft sind, ist vielleicht ein alter Hut – er passt aber immer noch.