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DÜSSELDORFTOMMA ABTS

Ästhetische Esoterik

19. August 2011 von Michael Staiger
Allzu gerne wird von Kunst als einem zeitlosen Phänomen gesprochen. Bis zum 9. Oktober ist in Düsseldorf noch exemplarisch zu erleben, wie unzutreffend diese Vorstellung ist. Vorab die Basisdaten: Die Kunsthalle zeigt die Turner-Preisträgerin Tomma Abts, die für ihre langsame und akribische Arbeit bekannt ist. Ihre Malereien haben immer die gleiche Größe von 48x38 cm, wovon sie jährlich weniger als zehn produziert. In dieser Präsentation sind zum ersten Mal auch Zeichnungen zu sehen, die in ihrer Genauigkeit den Malereien sehr verwandt sind. Gezeigt werden ca 30 Arbeiten, wobei die Malereien im unteren, die Zeichnungen im oberen Raum in klassischer Höhe, in angemessenem Abstand zueinander gehängt sind.
Nun behaupten sowohl die Hängung, deren strenge Gliederung jeden installativen Raumbezug zurückweist, als auch die Hermetik der gegenstandslosen Motive: Diese Bilder benötigen und wollen keinen Bezug zur Außenwelt! Mit anderen Worten: diese Kunst ist autonom! Das wiederum ist höchstproblematisch – in zweifacher Hinsicht.
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Vermeintliche Bezüge zur Vergangenheit... ("Hepe", 2011 / Courtesy greengrassi)
Erstens wurde die Autonomie der Kunst in vielen Arbeiten der letzten 50 Jahre angezweifelt. Unter anderem von Dan Graham im Jahr 1966: Die Minimal Art war gerade auf ihrem Höhepunkt und die Autonomie unangefochten. In "Homes for America" beschrieb der bis dahin weitgehend unbekannte Dan Graham eine Reihenhaussiedlung in Begriffen der damals vorherrschenden Kunstkritik. Er erklärte damit nicht nur die Siedlung zum Minimal-Objekt, sondern insistierte vor allem auf die Abhängigkeit von Sprache in der Rezeption der Minimal-Art. Letztlich erklärt er die Sprache sogar zur Vorraussetzung für die Produktion von sogenannter autonomer Kunst.
Tomma Abts scheint diese Einsicht entweder nicht zu stören oder aber sie versucht ausdrücklich das Gegenteil, also die künstlerische Autonomie zu beweisen. Dessen ungeachtet verweist die permanente Mythologisierung ihrer Arbeitweise und die Vielzahl von Texten zu ihrem Werk, deren Zugänge und Folgerungen eine hohe Varianz aufweisen, eher auf die immer noch vorhandene, starke Anhängigkeit der Kunst von Sprache. Stellte man sich Abts' Bilder kommentarlos präsentiert in einem Einkaufszentrum vor, würde man wohl kaum vermuten, dass es sich hierbei um eine zeitgemäße ästhetische Reflexion handeln könnte.
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... aber keine zur Gegenwart (Ausstellungsansicht während der Vernissage)
Die zweite Problem ist der Effekt den solche Ausstellungen auf die Wahrnehmung der Kunstgeschichte haben. Gerne wird Tomma Abts in Verbindung mit verschiedenen formalistischen Strömungen der Moderne gebracht. Dabei wird regelmäßig übersehen, dass sowohl im Konstruktivismus, im Informel oder in der gegenstandslosen Malerei der 60er Abstraktion oder Formalismus immer destabilisierend eingesetzt wurde. Nie wurde versucht damit eine Verbindung zu vorangegangenen Jahrzehnten zu schaffen, im Gegenteil, die Formalisierung wurde stets als ein Waffe der Separation und Revolution verstanden.

Sofern zeitgenössische Kunstwerke sowohl Modelle zukünftiger Kunst, als auch Rezeptionsvehikel vergangener Kunst sind, gefährdet Abts' schlampige Autonomiebehauptung nicht nur das gegenwärtige und zukünftige Potential des Formalismus, sondern eben auch das Verständnis des historischen Formalismus. Aus dem Verständnis ihrer Autonomie nämlich verkämen auch die formalistischen Bewegungen zu einem blutleeren, allgemeinen Formalismus, bei dem die zeitliche Eingebundenheit früherer Strömungen negiert würde. Hier wird von einer 'Natur der formalistischen Kunst' ausgegangen, die jegliche historische Relevanz ausschließt.
Entweder man erklärt Autonomie zeitbezogen und schlüssig (auch wenn die Chancen dafür im Moment schlecht stehen) oder man verfällt ästhetischer Esoterik.

Kommentare

#1) Am 24. August 17:07 um Uhr von Bobby

Supernice! Die Frage ist: Wie könnte man künstlerische Autonomie in zeitgenössischen Diskursen nutzbar und scharf machen?

#2) Am 26. August 17:08 um Uhr von Roman Hauser

Ganz allgemein: als Widerstandspotential. Die so angemaßte Autorität als eine, die potentiell beispielsweise der eines Sachzwangs widerstehen kann.