Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

OFFENER BRIEF AN KLAUS WOWEREIT

Haben und Brauchen

25. Januar 2011 von Niele Büchner
Während die Briefkästen der Veranstalter am Bewerbungsende überliefen, rüsten immer mehr Berliner Künstler zum Protest gegen die von Klaus Wowereit initiierte Leistungsschau junger Kunst aus Berlin. Hier der Brief der Initiatoren:
Sehr geehrter Klaus Wowereit,
nachdem es 2008/2009 nicht gelang, den Bau einer ständigen Berliner Kunsthalle mit Hilfe privater Investoren zu realisieren, planen Sie nun für Sommer 2011 eine einmalige „Leistungsschau junger Kunst aus Berlin“, welche die Debatte um eine Kunsthalle neu beleben und eine Entscheidungsgrundlage für deren öffentliche Finanzierung liefern soll. Das Projekt soll zeigen, „welche Schätze es in dieser Stadt gibt und dass sie einen Ort brauchen, wo sie sich besser präsentieren können als in den bisherigen Institutionen.“(1) Im Rahmen eines Open Calls wurden die in Berlin ansässigen KünstlerInnen Ende Oktober letzten Jahres aufgefordert, Portfolios einzureichen, die ihre künstlerische Arbeit dokumentieren. Aus diesen Einreichungen sowie auf der Basis selbstständiger Recherchen und Atelierbesuche werden fünf junge KuratorInnen (2) eine Auswahl von 50–80 Werken für die geplante Ausstellung treffen. Deren Qualität und Objektivität soll ein Beratergremium von drei international renommierten KuratorInnen (3) gewährleisten. Für die Realisierung der temporären Ausstellungsarchitektur auf einer Brachfläche am Humboldthafen wurde ein nicht-öffentlicher Wettbewerb durchgeführt. (4) Finanzierungsgrundlage der „Leistungsschau“ und ihrer architektonischen Umsetzung bilden bis dato 600.000 Euro aus dem Landeshaushalt, die bereits im November 2009 durch das Berliner Abgeordnetenhaus bewilligt worden waren, sowie 1 Million Euro, die der Lotto-Stiftungsrat, dessen Vorsitzender der Regierende Bürgermeister ist, dem Projekt jüngst zuerkannte.
Wir stellen fest:
– Ein Engagement für zeitgenössische Kunst in Berlin von Seiten des Regierenden Bürgermeisters und Kultursenators ist grundsätzlich zu begrüßen.
– Die Begriffswahl der Ausschreibung ist hoch problematisch: Mit dem Wort „Leistungsschau“ wird die neoliberale Rhetorik von Effizienz und Leistungsfähigkeit auch auf die Kunst angewendet und suggeriert eine Objektivier- und Messbarkeit der Qualität künstlerischer Produktion. Und warum beschränkt sich die „Bestandsaufnahme der Berliner Gegenwartskunstproduktion“ nur auf „junge“ KünstlerInnen?
– Es konnte bisher nicht überzeugend dargelegt werden, wie die „Leistungsschau“ das Konzept einer Kunsthalle erproben will, deren mittelfristige Finanzierbarkeit fragwürdig ist. Vielmehr ignoriert das Vorhaben die seit Jahren geführte Debatte über Sinn und Notwendigkeit einer ständigen Berliner Kunsthalle.
– Die organisatorische wie finanzielle Struktur des Projekts ist völlig intransparent. Wie wurden die KuratorInnen ausgewählt? Wie weit geht die Entscheidungsgewalt des kuratorischen Beirats? Was ist für Produktionskosten und Honorare der teilnehmenden KünstlerInnen eingestellt? Warum wurden die Namen der Beteiligten am Architekturwettbewerb nicht nach außen kommuniziert?
– Die internationale Anziehungskraft der zeitgenössischen Kunst trägt maßgeblich zur Attraktivität Berlins bei. Doch vom damit verbundenen Profit und Imagegewinn für die Stadt fließt wenig zu den Akteuren zurück, im Gegenteil: die realen Arbeits- und Lebensbedingungen Berliner KulturproduzentInnen verschlechtern sich zusehends durch steigende Mieten und den Verlust selbstorganisierter Freiräume. Die „Leistungsschau“ instrumentalisiert künstlerische Arbeit zu Zwecken des Stadtmarketings und der Ökonomisierung der Kultur.
– Das Budget der „Leistungsschau“ steht in keinem Verhältnis zur chronischen Unterfinanzierung der existierenden Berliner Institutionen für zeitgenössische Kunst: 1,6 Millionen Euro für eine einmalige Ausstellung stehen rund 4 Millionen Euro gegenüber, die der jährliche Berliner Haushaltsplan Kultur für KünstlerInnen, Projekte und Institutionen im Bereich Bildende Kunst insgesamt vorsieht. (5)
– Berlin zeichnet sich gerade durch die Diversität und Dezentralität seiner kulturellen Infrastruktur aus. Projekträume und unabhängige Initiativen, Galerien und Kunstämter, Kunstvereine und Museen, sie alle tragen zur Lebendigkeit der hiesigen zeitgenössischen Kunst bei. Dies muss als positiver Wert nicht nur rhetorisch anerkannt, sondern finanziell langfristig sichergestellt werden.
– Ein einmaliges Ausstellungsspektakel stellt keine nachhaltige Investition in bessere Produktions- und Präsentationsbedingungen dar, sondern steht aufgrund seiner Kurzfristigkeit zu allererst für die Wahlkampfinteressen des Initiators.
– Aus den hier genannten Gründen haben zahlreiche Berliner KünstlerInnen keine Mappen zum Open Call eingereicht und/oder werden jedwede Form einer „Leistungsschau“ boykottieren.
Wir fordern:
– die grundlegende Revision des konzeptionellen und kuratorischen Modells des geplanten Ausstellungsvorhabens.
– eine öffentliche Diskussion über die stadtentwicklungspolitischen Effekte eines temporären Ausstellungsprojektes am Standort Humboldthafen vor dem Hintergrund der aktuellen Transformationsprozesse durch Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes.
– einen öffentlichen Dialog darüber, wie die Produktions- und Präsentationsbedingungen von zeitgenössischer Kunst in Berlin außerhalb medienwirksamer Leuchtturm-Projekte nachhaltig gefördert und weiterentwickelt werden können.
1 Zitiert nach Berliner Morgenpost vom 9.1.2011.
2 Angelique Campens, Fredi Fischli, Magdalena Magiera, Jakob Schillinger, Scott Weaver.
3 Klaus Biesenbach (MoMA, New York), Christine Macel (Centre Pompidou, Paris), Hans Ulrich Obrist (Serpentine Gallery, London).
4 raumlabor ist als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgegangen, was bisher noch nicht offiziell kommuniziert wurde.
5 Hinzu kommt die Landesförderung für die Stiftung Berlinische Galerie und Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Höhe von jährlich rund 20 Millionen Euro.
Wir sind:

KünstlerInnen und KulturproduzentInnen, freie KuratorInnen und AusstellungsmacherInnen, KunstwissenschaftlerInnen und KritikerInnen, GaleristInnen und OrganisatorInnen von Projekträumen, VertreterInnen Berliner Kunst-, Kultur- und Bildungsinstitutionen, Kultur- und StadtpolitikerInnen u.a., die sich gegen die „Leistungsschau junger Kunst aus Berlin“ aussprechen:

Dorothee Albrecht, Ulf Aminde, Inke Arns, Diana Artus, Çiçek Bacık, Lith Bahlmann, Sandra Bartoli, Stéphane Bauer, Leonie Baumann, Oliver Baurhenn, Anke Becker, Jochen Becker, Eike Becker, Wibke Behrens, Sofia Bempeza, Sabine Beuter, Ina Bierstedt, Birgit Binder, Caroline Bittermann, Ellen Blumenstein, Laurence Bonvin, Daniela Brahm, Myriam Brüger, Sabeth Buchmann, Jan Bünnig, Sandra Bürgel, Claudia Burbaum, Diego Castro, Libia Castro, Martin Conrads, Ania Corcilius, Eli Cortiñas, Edith Dakovic, Thibaut de Ruyter, Anne Deschka, Helmut Draxler, Matthias Einhoff, Konrad Florian Emeis, Felix Ensslin, Lou Favorite, Paul Feigelfeld, Francesca Ferguson, Ulrike Feser, Jesko Fezer, Katharina Fichtner, Thomas Florschuetz, Jörg Franzbecker, Elisabeth Frassl, Mira Frye, Roland Fuhrmann, Else Gabriel, Stephan Geene, Emanuel Geisser, Fiona Geuss, Marc Glöde, Adrienne Goehler, Annette Gödde, Erik Göngrich, Thorsten Goldberg, Undine Goldberg, Cristina Gomez Barrio, Rolf Graf, Milena Gregor, Eiko Grimberg, Raphaël Grisey, Carla Guagliardi, Alexander Hahn, Sophie Hamacher, Bärbel Hartje, Sandra Haselsteiner, Michael Hauffen, Arne Hector, Christine Heidemann, Nanna Heidenreich, Stefanie Heidhues, Birgit Hein, Martina Heinz, Hans Hemmert, Naomi Hennig, Tobias Hering, Carina Herring, Farida Heuck, Mathias Heyden, Veronike Hinsberg, Tom Holert, Gabriele Horn, Sabine Hornig, Philip Horst, Claudia Hummel, Dominique Hurth, Susanne Husse, Martin Kaltwasser, Karin Kasböck, Anne Kersten, Friederike Kersten, Eva Kietzmann, Andreas Koch, Doris Koch, Folke Köbberling, Birgit Kohler, Tanja Krone, Clemens Krümmel, Agnes Krumwiede, Philipp Lachenmann, Pia Lanzinger, Heimo Lattner, Fotini Lazaridou-Hatzigoga, Susanne Leeb, Daniela Lehmann Carrasco, Christoph Leitner, Michelle-Marie Letelier, Thomas Locher, Catherine Lorent, Anne Luther, Charlene Lynch, Annette Maechtel, Volker März, Anne Maier, Jan Mancuska, Philip Marcel, Elke Marhöfer, Simon Marschke, Eva May, Bjørn Melhus, Angela Melitopoulos, Arwed Messmer, Klaus Mettig, Felix Meyer, Wolfgang Meyer, Herbert Mondry, Agnes Müller, Michael Müller, Hans Narva, Lise Nellemann, Sophia New, Anh-Linh Ngo, Ralph Niebuhr, Irina Novarese, Ólafur Ólafsson, Marie-José Ourtilane, Isabel Pauer, Stefan Pente, Kathrin Peters, Andrea Pichl, Olivia Plender, Lucy Powell, Johannes Paul Raether, Katia Reich, Matthias Reichelt, Inken Reinert, Angelika Richter, Stefan Römer, Julian Rosefeldt, Elske Rosenfeld, Constanze Ruhm, Wanja Saatkamp, Natascha Sadr Haghighian, Katya Sander, Jan Sauerwald, Ines Schaber, Sandra Schäfer, Karin Scheel, Wolfgang Schlegel, Katharina Schlieben, Birgit Schlieps, Florian Schmidt, Dierk Schmidt, Isabel Schmiga, Meggie Schneider, Frieder Schnock, Tanja Schomaker, Sarah Schönfeld, Lucia Schreyer, Stefanie Schulte Strathaus, Michael Schultze, Christine Schulz, Michaela Schweiger, Maya Schweizer, Marcel Schwierin, Markus Shimizu, Judith Siegmund, Katharina Sieverding, Pola Sieverding, Heidi Sill, Florian Slotawa, Marina Sorbello, Beatrice Ellen Stammer, Bettina Steinbrügge, Renata Stih, Kerstin Stoll, Alice Ströver, Signe Theill, Theresa Theune, Thomas Thiel, Minze Tummescheit, Keike Twisselmann, Vlado Velkov, Gitte Villesen, Felix Vogel, Katja von der Bey, Julian von Klier, Aribert von Ostrowski, Arnold von Wedemeyer, Clemens von Wedemeyer, Albert Weis, Regina Weiss, Ute Weiss Leder, Susanne Weiß, Antje Weitzel, Sinta Werner, Philip Wiegard, Gernot Wieland, Jole Wilcke, Mathias Wild, Eva Wilson, Klaus Winichner, Karen Winzer, Hergen Wöbken, Sandra Wrampelmeyer, Thomas Wulffen, Christine Würmell, Florian Wüst, Miya Yoshida, Konrad Zander, Florian Zeyfang, Uli Ziemons, Lena Ziese, Inga Zimprich, Pablo Zuleta Zahr.

ALL those who wish to support this open letter, are invited to sign here:

www.habenundbrauchen.kuenstler-petition.de/...

Kommentare

#1) Am 29. Januar 20:19 um Uhr von D. Peters

Es hat ja immer auch etwas Scheinheiliges, wenn Künstler einerseits ihren Beitrag zur "Internationalität" und "Attraktivität" einer Stadt hervorheben und wie selbstverständlich als Teil einer Leistung verstehen, von deren "Profit" dann bitte auch der gerechte Lohn zu den "Akteuren" zurückfließen soll. Auf der anderen Seite beklagen dieselben Künstler/Kreativwirtschafter sich dann aber über die neoliberale Sprache des Stadtmarketings und steigende Mieten. Hallo ihr Künstler, ihr seit selbst Teil des Problems, und ihr steht sogar ziemlich weit vorne an dessen Anfang!

#2) Am 1. Februar 20:19 um Uhr von Anton

In der heutigen Ausgabe der "Welt" meldet sich Katharina Sieverding per Interview zur Sache. Neben ausgiebigen Wowereit-Bashing weiß sie zu vermelden, dass bereits 1500 Leute den Brief unterschrieben haben.