Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HAMBURGRODNEY GRAHAM: THROUGH THE FOREST

Der Schauspieler ist ein Mensch

1. Januar 2011 von Erik Stein
Abbildung zu
Hitchcock nach Drehschluss? Dan Graham in "Halcion Sleep" von 1994 (Videostill)
Wesentliche Merkmale unserer Zeit sind die weitestgehende Flexibilisierung von Glaubwürdigkeit und die Allgegenwart des Celebrity-Prinzips. Es hat dieser Tage also mindestens zwei gute Gründe von folgenden künstlerischen Motiven Abstand zu nehmen: der Ironie und dem Ins-Bild-setzen des Künstlers. Sie sind aktuelle Hauptverursacher der wachsenden Patina von beispielsweise Kippenberger oder Koons. Warum aber ist den Arbeiten von Rodney Graham so wenig Verwitterung anzumerken? Die Hamburger Kunsthalle lädt noch bis zum 30. Januar 2011 zu Ursachenforschung, und diese Gelegenheit muss man beim Schopfe packen. Hier also schon mal der Aufruf: Hingehen!
Die Ironie Grahams ist das Lächeln eines urmenschlichen Interesses an Psychologie, Vergänglichkeit, Sinnlosigkeit oder Nostalgie. Graham ist kein Selbstdarsteller – er ist ehrlicher Schauspieler seiner selbst. Deshalb stört der Autor auch nicht in der Bildfläche. Wenn Graham eine Überdosis des Beruhigungsmittels Halcion schluckt und sich bei der anschließenden Fahrt nach Vancouver im Auto schlafend filmen lässt („Halcion Sleep“, 1994), hat das nichts von den heute nur noch schwer zu ertragenden Videoperformances der sechziger und siebziger Jahre. Da starrt kein wilder Künstlerguru in die Kamera und will seinen Körper stellvertretend für die Malaise der Welt malträtieren. Graham gelingt eine Poesie, die auch nach 15 Jahren nichts von ihrem Klang verloren hat.
Graham ist nostalgisch: Er schätzt klassische Buchgestaltung, liebt das Rattern alter Filmprojektoren oder den Charme klassischer Industrieprodukte („Typewriter with Flour“, 2003). Kippenberger schrie: „Jeder Künstler ist ein Mensch“ – Graham ist einer. Weder laut, noch radikal, fern von Machoallüren und Personenkult. Deshalb kann er die Bühne auch als Musiker und Songwriter betreten und läuft nicht Gefahr vom Rockstarvirus infiziert zu werden. Der hohle Witz der derzeitigen und gut gemeinten Diskreditierung von Authentizität durch Intellektuelle wie Dirk von Lowtzow, Max Dax oder René Pollesch ist nämlich dessen Kehrseite: die selbstgebastelte Popstaridentität. Madonna ist aber ebenso wie Kippenberger nicht außerhalb der Achtziger zu denken, und auch Lady Gaga steht heute nur stellvertretend für das große Nichts der Medienkanäle. Die Postmoderne läuft ihrem Ende entgegen und in Graham kann man jemanden entdecken, der darüber reflektiert was es heißt, in der Zitatehölle Mensch zu sein.

Kommentare

#1) Am 18. Januar 23:54 um Uhr von Kort

Ich muss sagen daß die Ausstellung für mich leider 'ungenießbar' war. Ich kann nicht verstehen warum die Hamburger Kunsthalle für eine so umfangreiche Schau nur ein Stockwerk freimacht. Die einzelnen Objekte benötigen eine intensive Auseinandersetzung, das fängt schon beim lesen der laminierten Din A4 Zettel an... Allerdings war mir eine konzentrierte Auseinandersetzung nicht möglich, da die Räume übervoll und in jeden Raum die Audios der folgende Räume hineindrönten. NERV!

#2) Am 23. Januar 23:55 um Uhr von Erik

Ja, allerdings! Das ist ein leidiger Punkt bei dieser Ausstellung. Und wie man sich denken kann, hat er wohl finanzielle Hintergründe. Ich bin mir manchmal auch nicht sicher, ob die Kunsthalle es vielleicht einfach lassen sollte, Ausstellungen diesen Ranges noch aus Barcelona oder sonstwo anzukarren und stattdessen einfach in die inhaltliche Totalverweigerung übergehen sollte. Einfach die Tremlett-Ausstellung bis 2015 verlängern und auch die unteren Geschösse scheckig pinseln. Ehrlicher wäre es.