Wenn man wieder einmal ratlos in einer Ausstellung steht und sich einfach nirgends ein sinnvoller Einstieg auftut, dann findet sich meist eine Schlauer, der erklärt, die Werke entzögen sich eben tradierten Rezeptionsmodi und konventionellen Bedeutungsansprüchen. Wenn man die von Rebecca Warren installierten sieben Bronzesäulen im langläufigen Hauptraum des Münchner Kunstvereins abschreitet, erwartet man an Position acht genau so einen Fürsprecher zeitgenössischer Bedeutungsoffenheit. Ebenso freundlich wie überlegen würde er der Ratlosen ein „Alles kann, nichts muss!“ entgegenhauchen. Doch da steht niemand.
Der überreichte Pressetext verspricht, ein „wesentliches Merkmal“ von Warrens Arbeitsweise ausgemacht zu haben, so als würde es jetzt handfest werden. Worin besteht dieses Merkmal also, denn die Skulpturen selbst sind wenig auskunftsfreudig? – „[...] in der individuellen Anordnung der Werke, die es ermöglicht, dass deren Materialeigenschaften aufeinander reagieren und sich in Verbindung mit dem spezifischen Umfeld aufeinander beziehen.“
Es gibt zwei Arten, wie man bedeutungsfreie Kunst an Frau oder Mann bringen kann. Die eine kokettiert einfach mit der eigenen Zusammenhangslosigkeit. Das ist die Variante, wo es gerne heißt, die Werke entzögen sich begrifflichem Denken und überzogenen Bedeutungsansprüchen – und eben das sei doch ungeheuer „interessant“ und „spannend“. Fast schlimmer ist Variante zwei: Die explizierte Bedeutungslosigkeit wird ex post in ein paar alte Diskurse gewickelt, was meist zu entsprechend hanebüchenen Aussagen führt. Für die Ausstellung von Rebecca Warren im Kunstverein München gibt die Begleitliteratur ein Exempel dieser zweiten Variante. Da werden Banalitäten wie die, dass Werke sich innerhalb einer Ausstellung aufeinander beziehen, gern zu tiefgründigen ästhetischen Reflektionen gepushed. Im Interview zwischen Kurator und Künstlerin, welches das kostenlose Katalogheft einem zur Hand gibt, geht es dann um die Ähnlichkeiten der einzelnen Skulpturen, darum, dass Warren Original und Kopie in unmittelbare Nähe stelle und so eine Form von Originalität erzeuge, „die nicht auf ein einziges Objekt oder eine Momentaufnahme beschränkt ist“. Die Frage nach Original und Kopie allein ist zwar nicht banal, in dieser Form aber Dekaden von zeitgeschichtlicher Relevanz entfernt; aber wenn doch der Betrachter die Augen nur halb zusammenkniff und für einen Moment mal die Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts einfach vergäße? Nein?
Nein, dieser Ausstellung lässt sich nichts von Relevanz entlocken, da nützen auch die in die Jahre gekommenen Diskursschablonen nichts. Wie erwähnt hat Warren im Hauptraum sieben Skulpturen aufgereiht. Aus einem klobigen Fuß heraus ragen jeweils säulenartig rund zwei Meter handbemalte Bronze. Die wölbt und klumpt sich an der ein oder anderen Stelle, ergibt aber sonst kaum Formen, die der Vorstellung entgegenarbeiten, die Künstlerin hätte relativ planlos mit schwerem Material herumgemanscht. Zwei oder drei Beulen lassen sich als Brust identifizieren, eine Form, die in einem zweiten Raum aufgegriffen wird. Aber Frauenkörper, wie sie Warren an anderer Stelle moduliert hat, lassen sich beim besten Willen nicht entziffern. Bei einigen Säulen sitzen Verklumpungen auf gleicher Höhe, aber eine rhythmische Folge ergibt sich daraus nicht. Ebenso wenig aus der Farbgebung, die gleichermaßen willkürlich erscheint. Es lässt sich auch kein Arbeits- oder Entwicklungsprozess herauslesen, der die Aufmerksamkeit auf einzelne Entscheidungsschritte innerhalb der Produktion verlagert hätte, wie es das Begleitheft verspricht. Das hätte die Sache aber auch nicht wirklich aufregender gemacht, zumindest, wenn man der ermüdenden Produktionsbeschreibung im Interview folgt. Warren: „Der Herstellungsprozess der Skulpturen wird zunächst durch einen oder mehrere Anfangsimpulse ausgelöst. Oft entsteht dann das Bedürfnis, bestimmte Merkmale neu zu entwickeln oder rückgängig zu machen (was in etwas Neues münden oder zu einer Ausdifferenzierung des bereits Vorhandenen führen kann). Manchmal besteht die skulpturale Lösung auch darin, eine zweite ähnliche Form herzustellen (die ihrerseits als Echo oder Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Form oder als etwas Neues fungiert). In diesem Prozess passieren viele Dinge. Am interessantesten ist aber, was dabei mit der Zeit passiert – die Zeit hat sich bewegt.“ – Entschuldigung, ich war'n Moment lang eingeschlafen (Minute 1:10).
Es scheint noch das Interessanteste zu sein, dass etwas Zeit vergangenen ist, denn die Ergebnisse dieser Vorgehensweise haben wenig darüber hinaus zu sagen. Im zweiten Raum stehen Tonskulpturen auf verschiedenfarbigen MDF-Sockeln. Es gibt einige, die an Korbgeflecht erinnern und die erwähnte Brustform begegnet einem als große Tonkugel auf unfertig bemalter Pressspanplatte mit Atelierfeeling. „Some Mothers Of Inventions“, Mütter der Fantasie, heißen diese Werke, so als würden sie Formen und Ideen gebären. Als wäre sie Vorstufen zu etwas, das vielleicht nur vergessen wurde auszustellen. Die Ausstellung selbst nennt sich übrigens „The Living“. Ästhetische Produktion als vitalistisches Prinzip? Au Backe! Ganz offenbar mag Warren Bronze und Ton, mag klassische Reihen und Sockelformationen. Nur soll deren notwendige Aktualisierung hier allein der Ästhetik unfertig wirkender Abstraktion, der Gegenüberstellung mit raubeinigen Vierkantholzgestellen und seichten Pastellfarben überlassen werden. Zuletzt stehen zwei Glasvitrinen nebeneinander. Mit größter postkonzeptualistischer Sensibilität hat Warren hier Materialien anrangiert, die an Atelierüberbleibsel erinnern: Bindfäden, Nägel, Stoffreste… Ein paar der Dinge tauchen in beiden Vitrinen auf, davon einige auch in ähnlicher Position. Soll man sich hier allen Ernstes darüber Gedanken machen, ob und welches Arrangement vor dem anderen entstand?