Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

DÜSSELDORFDOMINIK SITTIG: REPRISE I – AVERSIONEN HYSTERIEN

Kunste zur Text

2. Juli 2012 von Olaf Mährenbach
Abbildung zu
Strenge Komposition: Einladung zum Vortrag des Künstlers (Courtesy Kunstverein Düsseldorf)
„Bilder, die aus Resten der Negation geknetet wurden, um sich in die herrschenden Verhältnisse hineinzuwerfen“, so umschwärmt der Pressetext die Arbeiten des Nürnberger Malers Dominik Sittig. Wollte man es nüchterner, könnte man von ziemlich pastos aufgetragenen, gegenstandslosen Ölmalereien sprechen. 30 von ihnen bilden den Kern der aktuellen Einzelschau im Kunstverein Düsseldorf. Dort ist der Ausstellungsraum in gleichmäßigem Abstand mit unterschiedlich dimensionierten Schinken bestückt. Besonders aufregend sind diese erdigen Schlachtfelder jedoch nicht. Ihre nichtssagenden Oberflächen sind eher öde und erinnern an Malereien aus anderen Jahrzehnten. Vor dem Ausstellungsraum ist ein Tisch mit Publikationen Sittigs aufgebaut, daneben eine Wand mit Plakaten, die einen Vortrag des Künstlers zur der Ausstellung ankündigen. Überrascht nimmt man zur Kenntnis, dass sich Sittig auch mit der Produktion von Theorie beschäftigt, und dass das Ausmaß dieser Produktion dem seiner Bilder durchaus ähnlich ist.
Beim Blick in Sittigs Bücher begegnet dem Leser ein altbekannter Wiederspruch, eine Variante des Henne-Ei-Problems: Einerseits, so Sittig, sollen seine Bilder als vorsprachliche Elemente der Erkenntnis dienen, als Objekte mit deren Hilfe z.B. Kindheitserinnerungen zugänglich werden. Zugleich sollen die Oberflächen seiner Malereinen Spuren menschlicher Gefühle beherbergen. Auf der anderen Seite wird dieser Möglichkeitsraum durch die Theorie, also die begleitenenden Texte und Schriften, überhaupt erst eröffnet. Ohne den Text passiert nämlich, was mit unkommentierter, ungegenständlicher Kunst fast immer passiert: Sie bleibt stumm. Erst die Lektüre ermöglicht die vermeintlich „unmittelbare“ Erfahrung, die der Betrachter vor den Bildern machen soll. Die Kausalität ist also genau umgekehrt. Nicht die Bilder sind die auslösenden ästhetischen Ereignisse, die zu besonderen Erfahrungen und zur Produktion von Texten führen. Vielmehr propagieren die Texte bestimmte Zusammenhänge und erzeugen dabei einen Kontext, der diese Erfahrungen ermöglicht.
Dieser Widerspruch ist nicht neu und lässt sich besonders gut am Verhältnis von Text und Objekt in der Minimal Art studieren. Auch dort wird die „unmittelbare“ Erfahrung erst durch den Text ermöglicht. Und auch dort wird fälschlicherweise das Objekt kausal vor den Text gesetzt. Dennoch gibt es hier einen gravierenden Unterschied zum Text-Objekt-Verhältnis bei Sittig: Die Texte des klassischen Minimalismus sind so spezifisch formuliert, dass es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, Kunstwerke zu produzieren, die sich in eine Übereinstimmung mit ihrer Theorie bringen lassen. Ganz anders bei Sittig: Die einzelnen theoretischen Forderungen sind oft so schwammig formuliert, dass längst nicht klar wird – eher verunklart – warum die Malereien am Ende aussehen wie sie aussehen. In solcher artistischen Unverbindlichkeit steht Sittig paradigmatisch in der Mitte seiner Zeit – ganz entgegen dem von ihm artikulierten Anspruch, aus ihr herausfallen zu wollen.
Die Widersprüche innerhalb seiner Texte und die Schwammigkeit ihres Inhalts sind für die Rezeption insgesamt jedoch eher zweitranging. Hier sollte man den Gegebenheiten ins Auge sehen: Der tatsächliche Inhalt und dessen Schlüssigkeit stehen, wenn überhaupt, eher am Ende rezipierter Parameter. Viel entscheidender ist zunächst die schlichte Existenz einer künstlerischen Theorieproduktion. Sie allein verleiht dem Künstler bereits die notwendige Aura von Ernsthaftigkeit, philosophischer Größe und manchmal auch von Radikalität. Sie bettet die Bildbetrachtung öder Ölschinken und nobilitiert sie zu Meditationen von philosophischem Ausmaß. Nicht der Inhalt des Textes, sondern dessen Aura färben den Blick des gläubigen Betrachters.
Kein Phänomen allerdings, dass Sittig selbst anzulasten wäre. Für die Bedingungen solcher Wertproduktionen zeichnet ein Betrieb verantwortlich, der der Lektüre und Kritik seiner eigenen Texte überdrüssig geworden ist – und für den sie dennoch die Welt bedeuten: Jeder Text ein hochgehandeltes, auratisiertes Derrivat. Es ist nicht ohne Ironie, dass vom Aufbruch der Moderne in heutigen Kunstformen oft kaum mehr übrig ist, als deren Strategien der Auratisierung. Die Textproduktion gehörte von Anbeginn dazu. Anstelle der Klarheit der Manifeste ist jedoch eine Poesie der Unschärfe getreten. Diese gegen Beliebigkeit zu schützen bedürfte einer lebendigen Kritik und eine selbstbewusste Leserschaft – schon zwei Gründe, warum sie in den meisten Fällen heute zu bloßem Chargon verkommt.