Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HANNOVERTOBIAS REHBERGER: HALL OF INNOVATION

Früher war mehr Lametta

21. März 2012 von Anton Rohrheimer
„Wenn du dort zu sehr polarisierst,
ist es schön fürs Feuilleton, aber die Leute
lassen dich dann vielleicht nicht
mehr so gern ins Wohnzimmer.“

(Markus Lanz)

Die Kaufhausmaler von gestern waren Exzentriker, mindestens Alkoholiker, hatten fettige Haare und rochen schlecht – ihre Resistenz gegenüber profanen Konventionen wurde als sinnliches Erlebnis inszeniert. Geheiligte Außenseiter waren sie in den Augen und Nasen ihrer Bewunderer. Heute sind es nicht mehr nur Maler – die Konzeptkunst hat die Kaufhäuser erreicht und wird geschätzt für ihre bunten Entwürfe von Büroräumen, Entrees und Museumscafes. Tobias Rehberger ist der unbestrittene König der Kaufhauskonzepte und vergangene Woche war in Hannover-Laatzen ein weiteres Masterpiece seiner Ideenkunst zu erleben: die „Hall Of Inovation“.
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Art. Made. Easy.
Höhepunkte zeitgenössischer Kaufhauskonzepte, wie die Halle 16 der diesjährigen Cebit einer war, sind alles andere als sinnlich, denn das konzeptuelle Kunstwerk ist ja, streng platonisch, eine Frage der Idee. Äußerlich sollte es möglichst wenig Aufhebens um sich machen. Gleiches gilt für ihre Urheber – in diesem Fall neben Rehberger der nicht minder durchschnittliche und als Außenseiter völlig untaugliche Architekt Jürgen Mayer H. Ihr genialer Wurf unterschied sich denn auch kaum von den übrigen Messearchitekturen, mal abgesehen von den neonfarbenen Sprühdosenspuren, die quer durch die mit innovativem Silbermatt bestrichenen Kojen führten. Diese bunten Linien hatten vermutlich viel zu tun mit „overcoming boundaries, exploring the unknown and fusing it with things we already know to create something radically different“, wie Rehberger sein radikal anderes Konzept im begleitenden Katalog umschreibt. Man merkt, auch dies sind nur Annäherungen, weil Begriffe kaum fassen können, wie radikal diese Architektur eigentlich gedacht ist…
Abbildung zu
Hatte ich nicht eine App zum Ausblenden missratener Architektur?
Das Fantastische an der unsinnlichen oder sagen wir ruhig sinnlosen Kultur der Gegenwart ist ja, dass sie endlich ernst macht, mit der Entwertung der Wirklichkeit zugunsten der Idee. Was zählt schon die Erfahrung, wenn sie zu denken so viel radikaler möglich ist. Eine radikal gedachte Messearchitektur hat selbstverständlich wenig mit tatsächlicher Raumerfahrung zu tun und darf ruhig schon am Nachmittag des Eröffnungstages aussehen wie eine Großraumvariante des Handyladens um die Ecke. Die künstlerischen Kaufhauskonzepte der Gegenwart sind wie jene schlanken Smartphones und Netbooks, die ihren jungfräulichen Glanz bereits mit der ersten Berührung durch unsere fettigen Finger verlieren. Als etwas radikal Neues erdacht, von Wirklichkeit und Erfahrung aber erschreckend schnell diskreditiert. Deshalb sind geschliffene Sprechblasen („to create something radically different“) in opulent gestalteten Katalogen und Begleitbroschüren heute so wichtig. Die Sehnsucht des Kaufhauspublikums nach radikaler Andersartigkeit ist in die Sphäre rhetorischer Virtualität verbannt – der Künstler selbst so durchschnittlich wie sein Erzeugnis. Nicht dass die alten Alknasen so viel mehr zu bieten hatten. Werk und Auftritt waren nicht unbedingt gehaltvoller als die der Rehbergers. Aber immerhin, das Wenige siedelte auf der Ebene der Erfahrung.