Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

KARLSRUHEELMGREEN & DRAGSET: CELEBRITY – THE ONE & THE MANY

Ihr seid wunderbar!

25. März 2011 von Erik Stein
Die Lichthöfe des Karlsruher „Museum für neue Kunst“ hat das dänisch-norwegische Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset in zwei Lager gespalten: Im ersten steht der dreistöckige Nachbau eines kubischen Plattenbaus. Obwohl dem Besucher dessen Eingangstür verschlossen bleibt, gewähren zahlreiche Fenster Einblick ins Innere. Der Hausflur ist vermüllt, Briefkästen ausgebeult und auch die einzelnen Wohnungen sind aufwendig im Stil der unteren Klassen arrangiert. Hässliche Computertische, Plastikblumen, Mikrowellen, Billigbier und ähnliche Insignien gelebter Chancenlosigkeit verteilen sich über die Räume. In die unteren lugt man im Vorbeigehen, die oberen nimmt man über die in der oberen Museumsetage installierten Ferngläser ins Visier. Im unteren Geschoss auf einer Matratze liegt eine der fünf Figuren dieser Ausstellung. Die Skulptur eines Jungen, der sich gerade den Seiten der Internetcommunity „Gayromeo“ zuwendet, trägt den Titel „Andrea Candela“.
Ein anderer Junge aus Silikongummi kauert in einer grauen Schuluniform ängstlich im Kamin des zweiten Lichthofes. Über dem Kamin macht sich ein großformatiges Porträt des Jungen Platz. Der Raum ist den Auserwählten, den ‚Wenigen’ dieser künstlichen Zweischeibenwelt vorbehalten. Er hat, im Gegensatz zum benachbarten Sozialbau keine Außenwand, ist dafür aber begehbar und bleibt weitgehend leer. Neben dem Jungen stehen nur zwei weitere Figuren auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes: „Irina“ und „Dinah“ gehören zu einer Serie lebensgroßer Darstellungen vergoldeter Bediensteter. Ganz im Gegensatz zu dem kümmerlichen Jungen, den die Last seines Reichtums zu erdrücken scheint, sind die Figuren der Hausdienerinnen von einer geradezu militärischen Härte. Ihre güldene Strenge verleiht ihnen eine Neutralität, mit der sie auch im Mobiliar eines Sammlerhaushalts gefahrlos glänzen können. Am anderen Ende des Raumes, gegenüber dem mächtigen Kamin, werden auf geweißte Fensterscheiben die Schatten einer Partygesellschaft projiziert. Der Ausstellungsbesucher bleibt ausgesperrt. Als ein letztes Element steht ein kleines Tischlein neben dem Eingang zum zweiten Lichthof (dem „Festsaal“). Darauf abgelegt ein welkender Blumenstrauß mit einer Grußkarte von Sammler Christian Boros: „Lieber Ingar, lieber Michael, danke für Alles!!! Ihr seid wunderbar!“
Abbildung zu
Fein raus: Ästhetische Reflektion der Produktionsbedingungen
Christian Boros ist der Geschäftsführer der Boros GmbH, einem Wuppertaler Werbeunternehmen, das u.a. für vielsagende Slogans wie „Komm in unsere Welt. Bring dich ein. Sei ganz du selbst. VIVA liebt dich.“ verantwortlich zeichnet. Obgleich die größte Innovation seiner Firma in einer übermäßigen Verwendung serifenloser Großbuchstaben zu liegen scheint, hat sich der dickköpfige Netzwerker tief in das hiesige Kunstsystem eingegraben. Gefühlte 80% der im Kunstbereich relevanten Institutionen – darunter die Venedig Biennale, das Gallery Weekend in Berlin, das Folkwang Museum, die Art Cologne – zählt er zu seinen Kunden. Auch das ZKM, deren Teil das „Museum für neue Kunst“ ist, fehlt nicht auf der Liste der Klienten. Im Gegenzug durfte Boros seine Sammlung bereits 2004 dort in die Lichthöfe stellen. Und dass Elmgreen & Dragset zu den von ihm bezahlten Künstlern gehören, versteht sich quasi schon von selbst. Dagegen weniger, wie sein Dankeskärtchen in der Ausstellung nun zu lesen ist. Ist das Schattenspiel vielleicht das Remake einer der von Boros initiierten Bunkerpartys für Berlins hohe Gesellschaft? Oder bedankt sich der Millionär hier für den keimfreien Einblick in die Bunker der Vororte, die ihm sonst verborgen bleiben? Wahrscheinlicher ist, dass Elmgreen & Dragset sich mit der Karte ihr Ticket aus dem moralischen Zwiespalt ziehen. Es soll signalisieren: Hey, auch wir sind Teil dieses Celebrity-Systems, wir sind uns dessen bewusst und in unseren Arbeiten versuchen wir, unsere eigene Position in diesem Spiel kritisch zu hinterfragen. – Wow, wie doppelbödig, könnte man denken, möchte man sich nicht mit einem ähnlichem, vielleicht aber treffenderen Adjektiv aufhalten: scheinheilig.
Die ganze Ausstellung wirkt extrem sortiert und aufgeräumt. Der Clash der Gehaltsklassen findet nicht statt. Es hat vielmehr zwei großräumige, artgerechte Gehege, vor denen man sich selbst in die Pose des reflektierenden Beobachters werfen darf – ein bisschen wie ein Zoobesucher, der über das Leben in Gefangenschaft sinniert. Die sozialen Klischees, die man sich so vor Augen führt, sind nicht fernab der Realität, aber von einer Sterilität, die jedes geistige Ereignis in einen schalldichten Raum versetzt. Man ist ungefähr so mitgenommen wie von einer Hartz-4-Reportage in der Vogue. Um wen oder was geht es den beiden Dänen eigentlich, fragt man? Um die Aussätzigen, die Celebritys oder die Rolle der Kunstwelt im Verbund der Letztgenannten? Ginge es um die Verwobenheit von Celebrity- und Kunstsystem, dann wäre das Angebot mäßig: der unglückliche Junge im Kamin, die vergoldeten Mägde, die Grußkarte, die Party hinter verschlossener Tür. Alles großzügig auf Abstand zum jeweils Anderen gehalten, verweigert sich das Arrangement einem Zusammenspiel der installativen Akteure, das über Bekanntes und Offensichtliches hinausginge.
Wenn es Elmgreen & Dragset tatsächlich um das Verhältnis zwischen den Vielen und den Wenigen ginge, bleibt ebenso fraglich, ob ihr überdimensioniertes Modell zeitgenössischer Neoaristokratie in der Lage ist, irgendeinen Beitrag über das, nun auch skulptural verbürgte, Klischee hinaus zu liefern. Jeder aufmerksame Beobachter weiß, dass ein Blick in die hinteren Reihen der Programmplätze des Privatfernsehens soviel mehr über die Wirklichkeit der Verachteten bzw. die gelebte Verachtung ihrer Veranstalter (ihren angstgetriebenen Voyeurismus eingeschlossen) virulent zu machen versteht. Wer zur Systematik des Ressentiments oder zum neoaristokratischen Gefüge tatsächlich etwas zu sagen hat, sollte seinen ästhetischen Denkversuchen nicht den weißen Kittel vermeintlicher Neutralität überwerfen.
Die kritische Denkfigur von Elmgreen & Dragset ist eine Pose. „Wir stellen nur dumme Fragen, wir haben keine Antworten“, sagt Dragset in einem Interview. Dass sich diese dummen Fragen aber so gut verkaufen, mag daran liegen, dass man sich mit ihnen ein Stück Naivität zurückholen kann. Ja ist es nicht seltsam, darf man dann staunend fragen, dass es da die Wenigen gibt, und da die Vielen? Und ist es nicht faszinierend, dass da von irgendwoher diese eigenartige Mauer ist, die beide Welten trennt? Solche gespielte Ahnungslosigkeit straft auch die Begleittexte lügen, in denen von „kritischer Hinterfragung“ oder der „Reflektion gesellschaftlicher Gefüge“ die Rede ist. In einem Gespräch der Künstler mit Studenten der Karlsruher Kunstakademie zeigt sich die „Naivität“ denn auch von einer sehr viel weltlicheren Seite. Sinngemäß hieß es da, die Studenten sollten nicht immer so viel Angst vorm Kunstmarkt haben, der sei nämlich gar nicht so böse wie es schiene und man könne sich sehr wohl und gut mit ihm arrangieren.
In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung unterschied Peter Weibel, Vorstand des ZKM, zwei Möglichkeiten, wie ein Künstler heute auf die Gesellschaft gucken kann: als Pathologe oder als Internist. Der Pathologe stelle die richtige Diagnose, aber sie käme zu spät. Elmgren & Dragset seien aber Internisten, sie stellten die richtige Diagnose und betrieben damit zugleich schon Therapie. Zeit und Thematik hätten zwei fähige Pathologen verlangt, Elmgreen & Dragset aber betreiben in Karlsruhe ästhetische Chirurgie für schlechte Gewissen.

Kommentare

#1) Am 25. März 01:00 um Uhr von Kant

Schön.

#2) Am 28. März 01:00 um Uhr von Herder

gefällt mir