Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

KÖLNVOR DEM GESETZ

Do the right thing!

15. Februar 2012 von Bobby Briggs
Kaspar Königs Vorwort im Katalog zu seiner Abschiedsausstellung ist eine Ansage, die in Gänze zitiert werden muss:

„Mit der Ausstellung 'Vor dem Gesetz', meiner letzten programmatischen Ausstellung im Museum Ludwig, möchte ich ein Plädoyer für das Museum halten. Und zwar für ein Museum als Ort einer öffentlichen Kunstsammlung, an dem die bildende Kunst als Teil des kulturellen Gedächtnisses und der Identität einer Gesellschaft archiviert und reflektiert wird. Ein Ort, an dem die historisch gewachsene Sammlung in einen Dialog mit zeitgenössischen Arbeiten tritt und so eine wechselseitige kritische und zeitgemäße Beobachtung eröffnet wird. Eine historische und aktuelle Prüfung, wie sie ein Museum sowohl durch die Geschichte seiner Sammlung wie auch durch seine räumliche Gegebenheit möglich macht, halte ich für unabdingbar – für eine produktive Auseinandersetzung mit Kunst und dem, was Kunst leisten und nicht leisten kann innerhalb unserer Gesellschaft, in der der Bewegungsspielraum jedes Einzelnen immer größer erscheint.“
Abbildung zu
Plakat zur Ausstellung (Courtesy Museum Ludwig)
Der Grund dafür, dass er diesem Anspruch in weiten Teilen gerecht wurde, könnte im Folgenden liegen: Die Zutaten, aus denen er seine Schau zusammenstellte, sind allesamt sowohl spezifisch als auch allgemein relevant und verständlich – als da wären: eine titelgebende Kurzgeschichte Franz Kafkas, geschätzt von Oberstudienräten bis hin zu en vogue Intellektuellen; ein historischer Bezugspunkt, der als Bindeglied zwischen Drittem Reich und Wirtschaftswunder einen entscheidenden Anteil an dem hat, was heute „das Deutsche“ ist; ein Museum, das mit Ausblick auf das einst zerbombte Köln samt benachbartem Heinrich-Böll-Platz noch immer ein exemplarischer Ort dieser Epoche ist und das darüber hinaus über eine Sammlung verfügt, die den ein oder anderen Zeitzeugen dieser Epoche beherbergt.
Doch damit genug des Vorspanns – erstes Bild: Betritt man den zweiten Stock des Museum, trifft man zunächst auf einen ausladenden Schrottplatz. Jimmie Durham’s Installation „Building a Nation“ (2006) nimmt den gesamten Vorraum ein und besteht aus einer Anordnung von Blechteilen, Holzbrettern, Zaunresten, zerbrochenen Whiskeyflaschen und allerlei Drahtumwickeltem, gespickt mit verschieden beschrifteten Postern, die allesamt prominente Väter der amerikanischen Staats- und Nationengründung zitieren. Was dabei an Spott, Hass, Blutrünstigkeit und Rassismus in Richtung Native Americans geäußert wird, ruft auf erschreckende Weise die alte Gewissheit wach, dass die bemützten Pilger neben ihren Planwägen auch eine breite Blutspur hinter sich herzogen. Hat man das Reservat verlassen und schreitet auf den Ausstellungseingang zu, trifft man auf einen fast mannshohen, mit Graupappe bezogenen Sockel. Auf ihm sitzt, Durhams Installation zugewandt, an den Händen gefesselt und den Kopf in Verzweiflung auf die Knie gestützt, der „gefesselte Prometheus“ von Gerhard Marcks aus dem Jahre 1948. Auf den antiken Mythos zurückgreifend, pathetisch im Ausdruck, sprachlos gegenüber der jüngsten Vergangenheit, kann Marcks‘ Bronze als exemplarisch gelten für das demütige und eskapistische Nachkriegsdeutschland und im speziellen – seiner Kunst.
Hier zeigt sich die Qualität von Königs Ausstellung: Denn die Bronze heute erneut auszustellen ist natürlich alles andere als demütig und eskapistisch – eher herausfordernd, will doch eigentlich kein Kunstbeflissener sich mehr mit dieser verstaubten Inselepoche zwischen Avantgarde und Nachkriegsmoderne abgeben. In der eingangs beschriebenen Konstellation kehrt das Werk jedoch scharf umrissen wieder, wird die geistige und seelische Verfassung seiner Entstehungszeit anschaulich wachgerufen. Diese trennt sich scharf von Durhams anprangerndem Zitat- und Schrottcollage – beide Haltungen werden durch und gegen ihr gegenüber scharf gemacht.
Dabei wird einerseits ein bedenklich weiter Bogen gespannt, der bei dem einen oder anderen ideologiewitterndes Unbehagen auslösen kann – ebenso wie das von Machern und Kritik häufig bemühte Vokabular des „Menschlichen“ und der „Würde“ und so weiter. Andererseits – und das zieht sich durch die gesamte Ausstellung – behalten die einzelnen Werke durch ihre individuelle Qualität und ihre räumliche Präsenz durchaus ihre je eigene Spezifik und können sich zusätzlich auf einander beziehen, in Dialog treten und/oder sich widersprechen.
Dies geschieht bestenfalls auf formaler und inhaltlicher Ebene. So ist der lange zentrale Gang, der die gesamte Ausstellungsfläche durchzieht, an markanter Stelle von einer gebrochenen Dreieckskonstellation geprägt: Zoe Leonards wieder aufgeführte Installation „Tree“ (1997/2011), ein von einem Stahlarm gehaltenes blatt- und astloses Baumskelett, leitet über zu Alberto Giacomettis „Das Bein“ (1958), das fragil auf niedrigem Sockel steht und mit seinem monströsen Gegenüber, Thomas Schüttes „Vater Staat“ (2009/10) aus rostrotem Stahl, der Gallionsfigur der Ausstellung und naheliegender Repräsentant von Kafkas Türhüter, einen denkbar radikalen Kontrast bildet. Die drei Objekte sind inhaltlich so divergent (Natur – Mensch – Staat) wie formal kohärent (alle sind rot-braun und irgendwie fragmentarisch-beschnitten, selbst der armlose Vater Staat). Im Film würde man sagen: gut geschnitten.
Doch auch einzelne Einstellungen haben es in sich; so erhalten viele Arbeiten eigene Räume und verhalten sich so eher als einzelne zum Ganzen. Hier wären viele markante Beispiele zu nennen: Monica Bonvincinis Rohbau, der mit chauvinistischem Zitatgut der Architekturgeschichte versehen und anschließend mit gezielten Hammerhieben durchlöchert wurde („I believe in the Skin of Things as in That of Women“, 1999/2011); Karla Blacks zarte und ephemere Gipsstaubinstallation, die pastellige Poesie ebenso wie Vernichtungslager assoziieren lassen kann („Nature does the Easiest Thing“, 2011); die aber auch als Reprise auf George Segals Gipsfiguren aus seiner Pop-Ikone „The Restaurant Window I“ (1967) gelesen werden kann, das vielen aus dem Untergeschoss des Museums bekannt sein dürfte und an seinem neuen, verwinkelten Standort von einem umso größeren Überraschungs- und Verfremdungseffekt profitiert.
And the list goes on… besondere Erwähnung soll an dieser Stelle jedoch Andreas Siekmanns zwei Räume einnehmende Installation „Dante und Vergil gehen durch die Welt“ (2011) finden, die ein unglaublich zeitgenössisches Panorama der letzten 10 Jahre entwirft und die der demokratischen Drei-Gewalten-Teilung eine vierte, die „Exklusive“, zu Seite stellt. Gemeint ist die ausschließende Macht des Nationalen und ihre Opfer: recht- und heimatlose Migranten, Niedriglöhner, unter ständiger Bedrohung von Gewalt Lebende. Siekmann sucht in diesem umfangreichen Zyklus nicht nur zentrale Orte der jüngsten Geschichte auf, sondern findet mit seinen in Microsoft Word (!) graphisch verfremdeten Foto-Collagen, als Inkjetprints lose an die Wand gepinnt, zugleich eine Form, die ökonomisch wie stilistisch auf die verfügbaren Mittel ihrer Zeit zurückgreift.
Insgesamt liegt das Hauptaugenmerk der Ausstellung auf der Formulierung ihrer Haltung – was ihr einen undogmatischen Umgang sowohl mit ihren medialen als auch mit ihren thematischen Parametern erlaubt. So kommen sowohl Künstler wie Ulrich Rückriem oder William Kentridge vor, die beide eher zwischen den thematisierten Generationen liegen, deren Werke jedoch trotzdem zur Ausstellung beitragen. Kentridges Animationsfilm „Felix in Exile“ (1994) fügt sich mit seinem Borchert’schen Szenario ebenso sinnfällig ein wie Candida Höfers Fotografien von Rodins „Die Bürger von Calais“, eine früh entstandene, doch bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirkende Skulptur, deren zwölf Version sie an ihren jeweiligen Standorten fotografiert hat.
Kaspar König und seinem Team ist damit eine Ausstellung gelungen, die vor allem eines hat: ein Anliegen! – und der es dabei gelingt, epochenübergreifend Werke von individueller Qualität in einem Kontext zusammenzustellen, der Fragen von Existentiellem, von Dringlichkeit, von menschlich wie gesellschaftlich und historisch Relevantem behandelt. Ein notwendiges Projekt in einer Kunstwelt, in der „didaktisch“ und „Moral“ Angstbegriffe sind, von denen es sich nur ja zu distanzieren gilt – als seien der Wille um Kommunikation und das Fragen nach richtigem Handeln Relikte einer kurzen Zeit zwischen Nachkrieg und Gegenwart, sprich: 68. Mit dieser Vorstellung bricht „Vor dem Gesetz“ – und das trotz großer Bühne und Budgets. Respekt!