Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

Lesezirkel

Die Presseschau für Kunst und danach


#47) Presseschau vom 2. Juli 2013

Anlässlich der Übernahme des Direktorenpostens durch Rein Wolfs widmet sich die Taz dem Kunstdinosaurier der Bonner Republik: „Die Bundeskunsthalle ist das Gestalt gewordene Symbol für das komplizierte Verhältnis von Ästhetik und Demokratie in Deutschland. Die verdruckste Mischung aus imposanter Architektur und zurückhaltender Symbolik steht für den Vorbehalt gegenüber jedem staatlichen Versuch, sich – wie im NS-System – zu einem mythischen Gesamtkunstwerk zu inszenieren.“ Der Merkur übersetzt einen älteren, aber noch lohnenden Artikel von Alix Rule und David Levine zum grassierenden International Art English, kurz IAE. Für die SZ hat ihn Peter Richter gelesen: „[IAE] nennen die beiden die eigenartige Sprache, in welcher der weltweite Kunstbetrieb heute seine Verlautbarungen ausstößt, in Büchern, Zeitschriften und Katalogen, aber vor allem in Ausstellungsankündigungen, wie sie jeden Tag von dem Newsletter-Dienst e-flux verschickt werden: ein Englisch, das in Syntax wie Vokabular mit richtigem Englisch nur noch wenig zu tun habe und jedenfalls für den Muttersprachler seinen Sinn oft mehr verberge als erhelle.“ Was offenbar nicht für Martha Rosler gilt, die das IAE auf – wo sonst? – e-flux ebenso vehement verteidigt wie Hito Steyerl. Eine ausführliche Watsche gegen Spaßvogel Maurizio Cattelan bekommt man in der Welt zu lesen, dessen Ausstellung in der Fondation Beyeler den Autor zu der Vermutung treibt, Ernst Beyeler selbst „hätte es nimmer geduldet, dass sie mitten zwischen Max Ernst und Willem de Kooning fünf ausgestopfte Rösser an die Wand nageln.“ Ebenfalls in der Welt mokierte sich Hans-Joachim Müller über die Berliner Schau zur Malerin und Esoterikern Hilma af Klint und deren Stilisierung zur Erfinderin der Abstraktion: „Hilma af Klint hat gemalt, wie es höhere Wesen befohlen haben. Malerei aber kann unter den Bedingungen extraterrestrischer Regie nicht anders als unfrei sein.“

#46) Presseschau vom 14. Juni 2013

Antwort auf die Frage „Wie wir arbeiten wollen“ verspricht das Cover der neuen Texte zur Kunst. „Schreibt, was ihr wollt“ wäre der ehrlichere Titel gewesen, denn so oder ähnlich lautete die Ansage der neuen Chefredaktion an die Autoren dieser themenfreien Ausgabe. Jutta Koether schreibt über Jo Baer, Helmut Draxler über Ambivalenz, die nicht mit Uneindeutigkeit zu verwechseln sei, Tom Holert ersinnt die Komfortgesellschaft und Isabelle Graw lässt Kollegen über die Rezeption Martin Kippenbergers nachdenken, „gerade weil sich diese Zeitschrift dem Projekt „Kippenberger“ von Anfang an in einer Mischung aus Distanz und Involviertheit kritisch verschrieben hat“. Gut möglich, dass Roberto Ohrt, der die Retrospektive im Hamburger Bahnhof für Frieze d/e kommentiert, auch diese Mischung meint, wenn er erinnert, wie unpassend die „verschwenderische Unberechenbarkeit“ Kippenbergers in den Neunzigern empfunden wurde, als „Parteigänger der neuen Strömung (gelegentlich „Kontext-Kunst“ genannt) sich von den schwer formalisierbaren Eskapaden zunehmend in Frage gestellt fühlten. So manche Figur aus dem ehemaligen Freundeskreis wusste plötzlich, dass dieser „Kippenberger mit seinem Zirkus“ nicht mehr sein muss; Distanzen, die sofort wieder verflogen, als er gestorben war.“ Sehr lesenswert ist auch das Interview mit Werner Büttner, der ja immer wieder mal als eigentlicher Urheber des kippenbergerschen Wortwitzes gehandelt wird. „Große Teile des Feuilletons“, kritisiert Büttner, enthielten sich in Sachen Kunst heute selbst bei „haarsträubenden Fehlentwicklungen“ der Wertung. Dummerweise habe sich die amerikanische Weisheit durchgesetzt, eine Ausstellung müsse in sieben Minuten gesehen und verstanden werden können. „Sonst schafft man ja das Gallery Weekend nicht.“ Oder die Venedig-Biennale, zur der nun auch FAZ, Süddeutsche und Zeit ihre großen Kritiken online haben.

#45) Presseschau vom 29. Mai 2013

Süffisant kommentiert der aktuelle Spiegel die bislang nicht publizierte Affäre zwischen Julia Stoschek und Mathias Döpfner: „Beide haben viel Geld, das sie teilweise in eigenen Museen verbraten, sie in Düsseldorf (vor allem Videoinstallation, sehr hip), er in Potsdam (Vermischtes, ein bisschen langweilig). Was „Bild“ aus so einem Powerpärchen gemacht hätte, mag man sich kaum vorstellen, aber Döpfner ist erstens verheiratet und zweitens Konzernchef der Axel Springer AG.“ Die 55. Venedig Biennale eröffnet am Wochenende und die Süddeutsche eröffnet den Reigen der Berichterstattung heute mit einem Feuilleton-Aufmacher zum „braven Salto, den Ai Weiwei im deutschen Pavillon [...]aufführt.“ Warum der Künstler nicht länger der „erzdemokratische Dissident“ ist, auf den sich der Westen verlassen könne, erklärt Catrin Lorch. „Natürlich ist man geneigt Ai Weiwei viel zu verzeihen, nach all dem Unrecht, das er erlitten hat. Doch war es zentral für die aktivistische Kunst Ai Weiweis, dass er das westliche Kunstsystem vor allem als Plattform nutzte. Nun richtet er alle Scheinwerfer auf sich und ergeht sich in wolkigen Allgemeinplätzen.“ Außerdem wird die Verurteilung von Werner Spies durch ein Gericht in Nanterre zu 652 883 Euro Schadensersatz gemeldet. Auch Georg Baselitz hat ja bekanntlich Ärger mit der Justiz. Den aktuellen Verdacht wegen Steuerhinterziehung nahm Julia Voss in der FAZ zum Anlass für eine ganzseitige und lesenswerte Abrechnung mit dem Mythos des unbequemen Außenseiters. „[... ] die Wahrnehmung der Moderne folgt häufig einem einfachen Schema: Gesellschaft gegen Künstler, Reaktion gegen Fortschritt, Mainstream gegen Außenseiter. Tatsächlich durchlief Baselitz eine Bilderbuchkarriere.“ Zwar sei gegen diesen Erfolg nichts einzuwenden, „Nur: Man kann nicht in Heerscharen gegen den Strom schwimmen. Man ist der Strom.“

#44) Presseschau vom 21. März 2013

Auf die Frage, wo denn die derzeitige Kölner Avantgarde agiere, antwortet Daniel Hug in der neuen Art: „Zur Zeit vor allem in Düsseldorf! Das liegt an der Kunstakademie mit Professoren wie Christopher Williams.“ Das Spezial zur Art Cologne fällt ansonsten ziemlich mager aus. Ernsthaft: Wieviel Wohlfühl-Porträts von Julia Stoschek braucht es noch? Sehr lesenswert ist das Gespräch zwischen Jutta Koether, Philipp Kaiser und Martin Prinzenhorn in der aktuellen Texte zur Kunst – Thema: Mike Kelley. Prinzenhorn plädiert u.a. für eine neue Regionalisierung der Kunstszene, Koether erklärt, dass die Lehre Teil ihrer künstlerischen Praxis sei und „Medium einer kritischen Kultur“, und alle beklagen, dass die Künstler heute zu wenig zum (schriftlichen) Diskurs beitragen (Word!). Im Merkur lässt sich Ingo Meyer über die letzten dreißig Jahre ästhetischer Theorieproduktion aus und kommt zum Schluss: „Die gute alte Tante Ästhetik ist zwar sehr in die breite, nicht aber in die Tiefe gegangen.“ Christian Demand hat auf der Webseite noch ein paar Nachfragen dazu. Die FAS freut sich über die Eröffnung des neuen Autocenters in Mitte mit 159 (!) ausstellenden Künstlern und ebensoviel Belanglosigkeit: „Die Stimmung an diesem Freitagabend ist hervorragend.“ Det is Berlin: Die Kunst ist super! Der Spiegel bemerkt, dass auch in der Kunst noch nicht von einem Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern gesprochen werden kann. Im Artikel von Ulrike Knöfel kommt Josephine Meckseper zu Wort und stellt fest, dass der Sexismus in Deutschlang verglichen mit den USA deutlich „plumper, direkter“ sei. „Es herrscht dort immer noch eine Kultur des Macho-Verhaltens, was zwar nervig ist, aber fassbarer und damit angreifbarer.“ Dazu passt ein Nachtrag zum Thema Kippenberger. In der vorletzten Zeit bemerkte Jörg Scheller nämlich zur aktuellen Beweihräucherung: „Dem opulenten Nachkriegskunstmenü von Künstlern wie Andy Warhol, Beuys oder Dieter Roth hatte Kippenberger wenig mehr hinzuzufügen als einen ranzigen, ölig-nöligen Nachschlag. Der zeitweilige Restaurantbesitzer war die chauvinistische Variante Warhols, die utopiebereinigte Variante Beuys, die ätzende Variante Roths.“

#43) Presseschau vom 22. Februar 2013

Kippenberger hat Geburtstag, der Hamburger Bahnhof gratuliert. Brigitte Werneburg bespricht die Feier für die Taz, findet aber so recht keinen Punkt beim Durchschreiten der spärlich inszenierten Schau: „So geht das dahin, sehr lustig und auch ein bisschen fad.“ Auch die neue Ausgabe der Frieze d/e kümmert sich zum Geburtstag um den „Mythos Rheinland“. Lesenswert der Kommentar von Dominikus Müller über die anhaltende Faszination der alten Kölner Kunstszene: „Aus der gegenwärtigen Perspektive steter Ökonomisierung von Beziehungen und Identitäten erscheinen die 1990er Jahre in Köln dabei vor allem als eine Zeit, in der das Handeln in Netzwerken und die Arbeit am eigenen Selbst noch im positiven Sinne als (vermeintlich) linkes, emanzipatives und vor allem selbstbestimmtes Projekt gelten konnten.“ Heute sieht die Sache freilich anders aus. Die heutigen Netzwerke seien zahnlos geworden. „Echte“ Negativität könne man sich schließlich nicht mehr leisten. „Zu prekär ist die Struktur jener offenen Netzwerke, in denen man zirkuliert, zu groß der Konkurrenzdruck und die Angst, man könne es sich tatsächlich mit jemandem verscherzen.“ Etwas zu kurz geraten in derselben Ausgabe die Überlegungen von Kolja Reichert zu YouTube-Filmen im Ausstellungsraum. Dagegen lohnt das Gespräch zwischen Roger Behrens, Elke Stefanie Inders, Alice Creischer und Andreas Siekmann im Freitag, in der Letztere Maßstäbe für künstlerischen Erfolg definieren: „Souveränität, gemeinsame Handlungsspielräume für Projekte und künstlerisches Arbeiten schaffen, die nicht effizient sind; diese Handlungsspielräume werden nicht gestattet, sondern meistens erstritten. Kommunizieren, Sinn herstellen, politische Gegebenheiten inhaltlich bewältigen und artikulieren, im Kunstbereich Probleme schaffen, damit ein Disput weitergehen kann. NIE aussteigen, sondern im hegemonialen Feld bleiben, und dort Dissens produzieren.“ Einen Nachruf auf den Begriff des Kuratierens schreibt Ralf Schlüter für das Art-Magazin.