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HAMBURGJOCHEN LEMPERT

Die Lempert-Methode

14. November 2013 von Olaf Mährenbach
Abbildung zu
Jenseits der Diskurse: „Anschütz“ von 2005 (© VG Bild-Kunst, Bonn 2013)
Mit der Venedig-Biennale war das Thema dann endgültig reif für die Titelseite: die Kunst der Outsider. Derjenigen also, die nur wenig oder gar keinen Kontakt zum „System“ Kunst pflegen, und die, so die häufige Erzählung, ein Leben lang im stillen Kämmerlein verbringen, woraus sich die Kunstwelt nun offenbar eine neue Injektion mit Authentizität erhofft. Ihre Kunst soll frei sein vom falschen Einfluss etablierter Institutionen und Diskurse, die sich gegenseitig routinierter Kalkuliertheit verdächtigen.
Eine solche Flucht vor den eigenen idealistischen Erosionsprozessen ist nachvollziehbar – gelingen kann sie nicht. Schließlich rehabilitiert sich mit ihr eine Rezeptionsform, die man aus gutem Grund in die Blindtexte talentloser Berufsschreiber verbannt hatte: die Rezeption per Künstlerbiografie, die dramatisierte Werksentstehungsgeschichte. Es scheint ein aussichtsloser Versuch mit antiquiertem Werkzeug einem durch und durch gegenwärtigen Problem zu Leibe zu rücken, dessen Behebung umso weiter in die Ferne rückt.
Zum eigentlichen Thema: Die Hamburger Kunsthalle präsentierte vor Kurzem eine umfassende Schau mit Arbeiten von Jochen Lempert. Auch diesen nähert man sich allzu gerne vor dem Hintergrund der Künstlerbiografie (z.B. hier). Der Künstler ist schließlich kein studierter, sondern Biologe. Da ist es nur ein kleiner Schritt zum Gedanken, es handle sich hier ebenfalls um einen Outsider. Wenn auch keiner mit pathologischem Autismus oder größerem Hang zu weltlicher Abgeschiedenheit, bietet er immerhin einen systemfremden, also authentischen Hintergrund, nämlich die unkorrumpierbare Motivation eines Forschers (Wissenschaft!). Aber auch bei Lempert ist das kein sinnvolles Werkzeug der Analyse. Umso mehr, als sich aus seinen Bildern recht einfach eine ästhetische Strategie lesen lässt. Machen wir's kurz und in drei Schritten.
Abbildung zu
Erkennbares Interesse: „Flugzeuge im Gymnospermenwald“ (© VG Bild-Kunst, Bonn 2013)
1. Das Naheliegende

Mit wenigen Ausnahmen platziert Lempert das für ihn interessante Phänomen oder Objekt in der Bildmitte. Schon dadurch wird eine formale Einheitlichkeit erreicht und zugleich das jeweilige Interesse offengelegt. Für den ersten Rezeptionsschritt vermeidet Lempert jede ästhetische Arriviertheit (was nicht ausschließt, dass er sie im zweiten oder dritten noch einflicht). Seine Bilder sprechen zunächst mal im globalen Konsens allgemeiner Bilderzeugung: relevanter Gegenstand in der Mitte des Bildes. Das Resultat ist etwas, das selten geworden ist im Angebot der Gegenwartskunst: Nachvollziehbarkeit. Lempert bedient sich gerade nicht der Hermetik, in deren Schutz viele Künstler (auch die sogenannten Outsider) heute agieren.
2. Das Terrain

Der nächste Pfeiler seiner Methode ist die Akzeptanz seines Mediums, der Fotografie. Lempert benutzt ausschließlich grobkörnigen Schwarz-Weiß-Film, den er auf Barytpapier abziehen lässt. In der Darstellung werden ihm damit enge Grenzen gesetzt. Viele Gegenwartskünstler wären versucht, sich nun genau an diesen Grenzen abzuarbeiten, sie vermeintlich zu verschieben oder neu zu definieren. Lempert dagegen bewegt sich einigermaßen unaufgeregt im durchforsteten Terrain, nämlich innerhalb der bekannten technischen Beschränkungen. Auch dies trägt zur Nachvollziehbarkeit seiner Arbeiten bei. Zumal Erprobungen im Grenzbereich nach gut 30 Jahren ästhetischer Medienreflexion ohnehin nicht sinnvoll erscheinen. Tatsächlich hat die formale Limitierung auch eine inhaltliche Auswirkung, was uns zum dritten Punkt der Lempert-Methode führt.
Abbildung zu
Gesetz der Serie: „Un voyage en Mer du Nord“ und „Zur Photosynthese“, beide 2009
(© VG Bild-Kunst, Bonn 2013)
3. Die Entdeckung

Wenn Lempert die Beschränkungen seines Mediums auf die Welt richtet, filtert er auch ihre Erscheinungen. So entsteht die Möglichkeit, Dinge, die für unser natürliches Auge kaum Ähnlichkeit besitzen, vergleichend zu sehen und über verborgene, erst durch die Kamera sichtbar gemachte Zusammenhänge zu spekulieren. Darin liegt schließlich der größte Reiz an Lemperts Arbeiten: die Vereinfachung der optischen Welt, die eine Ordnung suggeriert, mit der neue Zusammenhänge sichtbar werden. Deutlich etwa bei den Fotografien „Un voyage en Mer du Nord“ und „Zur Photosynthese“. Auf beiden Bildern wird etwas durch Luft verwirbelt. Beim ersten ist es die Gischt einer Welle auf offenem Meer, beim zweiten sind es Blätter unter einem Baum. Man würde diesen Phänomenen mit natürlichem Auge wahrscheinlich kaum Verwandtschaft attestieren. Die Größe der einzelnen Elemente, die Geschwindigkeit der Prozesse und die Rahmenbedingungen der Beobachtung sind zu unterschiedlich. Bei Lemperts Bildern aber führen das grobe Korn und die Bewegungsunschärfe dazu, dass sich beide Erscheinungen in schwarzweißen Flächen auflösen. Dadurch entsteht nicht nur eine formale Ähnlichkeit, auch die tatsächliche strukturelle Ähnlichkeit lässt sich erkennen.
Der Aufbau der Ausstellung krankte, wie so oft in der Galerie der Gegenwart, an der sperrigen Architektur. Ihre Symmetrie und die feste Abfolge der Räume gaben der Ausstellung ein ziemlich statisches Erscheinungsbild. So wurde man regelrecht zur linearen Rezeption genötigt. Lemperts Arbeiten hätten von dynamisierten Raumfolgen profitiert, weil die erwähnten Analogien sich noch besser entfaltet hätten, wenn auch der Raum zur freien Bewegung aufgerufen hätte. Dennoch war die Ausstellung seit langem das Beste, was die ansonsten recht ambitionslose Galerie der Gegenwart zur Anschauung brachte. Zu danken war das einer künstlerischen Strategie, die in ihrer Schlichtheit, in ihrer Konsequenz und Qualität unkorrumpierbar scheint von den Wellen der Diskurse. Die Entschlossenheit mit der Lempert „sein eigenes Ding“ macht, hat jedoch weniger mit der Weltabgewandtheit eines Outsiders zu tun, sondern mit der Wucht einer künstlerischen Position. Gewiss ein inflationär gebrauchter, fast schon entleerter Begriff – hier trifft er zur Abwechslung mal ins Schwarze.