Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

DÜSSELDORFHENNING AREND: SPLITTERKRIZT

Rückkehr im Leichentuch

27. April 2011 von Jessica Marbles
Splitterkrizt ist auferstanden! Neun Jahre nachdem er sich zum letzten Mal blicken ließ, betrat Rapper Splitterkrizt am Freitagabend des 15. April erneut die Bühne um seine „Wiedergeburt“ zu zelebrieren. Es war daher nicht irgendeine Bühne, keine solche, wie man sie erwarten würde, wenn man von Splitterkrizt noch nie gehört hat, und wenn man den Künstler Henning Arend nicht kennt, der für seinen "Bruder im Geist" ein Atelier in der Kunstakademie zur Bühne umarbeitete. Darum sei kurz gesagt, dass es sich bei Splitterkrizt um einen Berliner Underground-Rapper und bei Henning Arend um einen Düsseldorfer Kunststudenten handelt.
Abbildung zu
Als braute sich etwas zusammen: Splitterkrizt in der Kunstakademie (© Henning Arend)
Das hauptsächlich über Mundpropaganda angekündigte Spektakel zog besonders das männliche Publikum an und es überfüllte den Raum bis auf die Flure hinaus. Von düsteren Klängen umgeben betrat man eine gespenstische Szene: Das Zentrum des abgedunkelten Raumes füllten sieben Gebetsbänke aus Stahl, dazwischen der Gang, der zu einem 3 Meter hohen, eisernen Thron für Splitterkrizt führte. In Leichentücher gehüllt, „sein ganzer Körper umwickelt mit Draht, um ihn zu schützen, um ihn zu stützen ...“ stieg dieser dann von seinem Thron, beschritt den Mittelgang und wurde auf Bodenhöhe von seinem Publikum empfangen. Im Rücken der Bühne der „Altar“, ein Tisch aus Glas, bedeckt mit Gegenständen wie einer Kaffeemühle, die mit den Milchzähnen einer Studentin gefüllt war, einer Kerze aus „Leichenteilen“, „die das düstere Gebälk seiner Seele erhellen“ sollten, einer Totenglocke und einem Seepferdchenskelett, „denn sein ganzes Leben ist ein wunderschönes Märchen, er speist gedünstetes Seepferdchen schon zum Frühstück“. Die fabelhaften Wesen, Motive von Scherenschnitten, einst entworfen von Luise Duttenhofer, schmückten entsprechend märchenhaft den Hintergrund.
Der Auftakt war kryptisch. Ein Flüstern und Zischen erfüllte die Menge und nur dann und wann ließ sich überhaupt ein Wort verstehen. Lange beschlich das Publikum ein Gefühl, als braute sich etwas zusammen. Die Atmosphäre wurde dichter und dichter, die Klänge zunehmend flirrender und flimmernder. Aus dieser energetischen Stimmung entwickelte Splitterkrizt seinen Rapgesang. Mit heller Stimme, äußerst scharf und ein wenig wie entrückt inszenierte er in altbekannter Manier seine Gruselgeschichten. Er schrie, er schwieg und er wand sich durch die düsteren Winkel seiner Erinnerung an ein Leben voller Grausamkeit und Hass. Zumindest soviel wurde klar, vielmehr aber ließ sich seinem zwischen idiotisch und gefährlich schwankenden Wortgewirr schwer entnehmen. Wahrscheinlich ging es um die Objekte, die Henning Arend auswählte, um den Raum zu gestalten um die Auferstehung Splitterkrizts zu feiern. Die Gebetsbänke hingegen waren Objekte, die Henning Arend in seiner künstlerischen Freiheit hinzufügte und die gedacht waren, um anschließend an das Konzert eine Messe abzuhalten.
Das Resultat wird vom Künstler bescheiden als Gesamtkunstwerk bezeichnet. Das mag man als Anmaßung verstehen, doch ganz unrecht hat er damit nicht. Unter künstlerischen Gesichtspunkten erschien das Assemble zu assoziativ und emotional, um seine Stimmigkeit bewahren zu können. Dafür gelang es, eine äußerst atmosphärische und intensive Stimmung zu erzeugen. Das Erzählerische, Begleitende und Affektive trat in den Vordergrund, wenn auch relativ unverständlich für ein Publikum, das nicht ganz im Bilde war über Splitterkrizt und seinen Charakter. Die Veranstaltung war ebenso wenig, wie man sie künstlerisch stimmig nennen würde, die einfache Aufbereitung oder Illustration eines Konzerts. Denn so wichtig tat sich Splitterkrizt nicht, dass er sich nicht selbst nahtlos einfügte in das Gesamte.
Möglich, dass der Wert dieses Spektakels gerade in der Unmöglichkeit liegt, es einzuordnen oder zu kategorisieren. In seinem abrupten Ende fand die Veranstaltung dann einen weiteren Höhepunkt dieser restlosen Verrätselung. Der Rapper verschwand unmittelbar nach seiner letzten Silbe, das Licht ging an, das Publikum stand herum und niemand wusste so recht, was noch folgen würde. Die angekündigte Messe im Anschluss, die die Stimmung sicherlich noch intensiviert hätte, fand nicht statt. Dazu hätte wohl das Publikum die gleiche unschuldige Hingabe aufbringen müssen, wie die Veranstalter. Denn trotz des Equipments, dem Thron aus Stahl und den Gebetsbänken wurde erkennbar, dass es den Leuten um mehr ging als um Selbstdarstellung.

Das Gesamtkunstwerk war vielmehr die Symbiose von erarbeitetem Kunstverständnis einerseits, erkennbar an mancher ästhetischen Entscheidung, die getroffen wurde, und den eigenen Ursprüngen und Inspirationen andererseits, die durch assoziative Elemente sichtbar wurden. Dabei ließ sich eine Affinität zu Ku-Kux-Klan ähnlicher Aufmachung leider nicht verbergen - teilweise beherrschte die Sehnsucht nach dem Religiösen die künstlerische Konstruktion. Da verwundert es nicht, dass Splitterkrizt, wenn er demagogisch phrasierend das Energieniveau anfeuert, und das Publikum, ob inhaltlich zugetan oder nicht, zumindest der intensiven Atmosphäre nicht zu entgehen vermag.
Und das war schließlich, was dieses Spektakel konkretisierte: Atmosphäre, Inspiration und Ursprünge, verpackt in einer Ästhetik, die man in der Kunst so oft von eben solcher Emotionalität zu befreien versucht.
So bleibt ein Staunen über das Ereignis, über die Ausweglosigkeit seiner Kategorisierung und die Tatsache, dass es Grenzen aufbrach - nämlich die Grenzen ästhetischer Strenge, zugunsten einer Freiheit des Glaubens.

Kommentare

#1) Am 29. April 00:52 um Uhr von Richard

Das Staunen über und die Unbestimmbarkeit des Gesehenen, sowie das Grenzenaufbrechende und Glaubensfreiheitliche, ist das nicht BELIEBIGKEIT oder mangelndes Sprachvermögen? Je ne sais quoi.

#2) Am 29. April 00:53 um Uhr von Anton

Es hat nicht den Anschein, als wäre die Sache "beliebigen" Kriterien gefolgt, eher als hätte jemand ziemlich genaue Vorstellungen von seiner ureigenen und von außen entsprechend unverständlichen Privatmythologie. Was mich eher stutzig macht ist die diesbezügliche Parallele zu Volkskünstlern wie Jonathan Meese oder Hermann Nitsch.