KÖLNA WAVY LINE IS DRAWN ACCROSS THE MIDDLE ...
Keine Wahrheit unter der Oberfläche
2. Mai 2012 von Michael Staiger
Laut Begleittext geht es in der ersten Ausstellung des neuen Kurators
des Kölnischen Kunstvereins, Søren Grammel, um „das Verhältnis
gebauter Umgebungen zu den durch sie formulierten Ideen und
Programmen“. Zu sehen gibt es 23 Arbeiten von 13 Künstlern, in dem von
Fenstern dominierten Hauptraum des Kunstvereins. Søren Grammel hat auf
temporär eingezogene Wände völlig verzichtet und zeigt die Arbeiten
deshalb auf dem Boden liegend oder von der Decke hängend. Da die Ausstellung aber „gebaute Umgebungen“ zum Thema hat, handelt es sich bei den meisten
Arbeiten sowieso um selbständig stehende oder liegende, möbelartige
Objekte. Anhand dieser Objekte sollen die gesellschaftlichen und
politischen Dimensionen von Gebrauchsgegenständen sichtbar werden.
Zitat aus dem Begleittext: „Jedem Produkt formaler Gestaltung ist die
Utopie eines Raums angeschlossen, in dem es idealerweise erscheinen
könnte. Dieser abstrakt entworfene Raum ist zugleich immer ein
politischer Raum, der bestimmte Ordnungen und Identitäten definiert.“
Nun sitzt Grammel aber offenbar einem Missverständnis auf, was die Analysierbarkeit von solchen Ordungen angeht: Einen Sachverhalt und seine (unter Umständen politischen) Implikationen kann man eher durch das ursprünglich damit verbundene Objekt erkennen, als durch ein Produkt seiner Interpretation. Ein Beispiel aus der Anthropologie soll helfen diesen Umstand zu verdeutlichen. Eine Höhlenmalerei trägt zwei Arten von Information, erstens Informationen zu dem abgebildeten Objekt (Büffel oder ähnliches) und zweitens Informationen zu den Produzenten dieser Malereien. Hierbei ist die Informationsmenge bei ersterem relativ gering, bei letzterem aber relativ groß. Es lässt sich also viel mehr über die Umstände der Erzeuger ablesen, als z.B. über die Identität der Büffel.
Auf diese Ausstellung übertragen bedeutet dies die Umkehrung des
eigentlichen Anliegens. Anstatt die politische Dimension von
Gebrauchsgegenständen der Gegenwart sichtbar zu machen, wird vielmehr das
Verhältnis von zeitgenössischen Künstlern zu Wohnungs-Mobiliar und
-Architektur ausgestellt. Wodurch ist dieses Verhältnis dann also
geprägt? Es scheint zwei vorherrschende Reaktionen auf die Gegenstände zu geben. Die erste ist Skepsis gegenüber künstlichen Oberflächen. Dies lässt sich besonders gut an
den Arbeiten Heimo Zobernigs ablesen, die einfache Regale darstellen
(das Billy Regal z.B.), bei denen allerdings die Beschichtung fehlt
und den Blick auf den darunterliegenden Pressspankern freigeben. Der
zweite künstlerische Ansatz ist die Umkehrung von einfachen funktionalen
Verhältnissen, so z.B. bei __fabrics interseason, die einen von
Fliesen umgebenen Duschabfluss entworfen haben, aus dem Wasser strömt,
anstatt es aufzunehmen.
Beiden Ansätzen ist gemein, dass die Formen der
Untersuchung bei zeitgenössischen Gebrauchsgegenständen zu keinen
brauchbaren Ergebnissen führen. Unter der Oberfläche ist nichts
verborgen und die Umkehrung der Funktion bedeutet einfach den Verlust
der Funktion. Ein Abfluss als Ausfluss ist nicht mehr als ein kaputter
Abfluss. Gebrauchsgegenstände werden heutzutage eben als funktionale
Displays gestaltet. Hinter deren Oberflächen eine Wahrheit zu
suchen, oder einen Gegenstand jenseits seiner Funktion zu betrachten ist
deshalb nicht logisch.
Wollte man nun aber eine Ausstellung machen, die dem angekündigten
Programm Grammels folgt, müsste es wohl eine (wahrscheinlich
durchaus interessante) kunstgewerbliche Ausstellung von
Gebrauchsgegenständen des 21. Jahrhunderts sein. Es gibt sogar
eine Arbeit in dieser Ausstellung, die dieser Form nahe kommt: die
unbetitelte Arbeit von Lasse Schmidt Hansen. Sie besteht aus neun
Kugellampen unterschiedlicher Größe, gesammelt an verschiedenen Orten,
die von der Decke hängen und eine Typologie der Form „Kugellampe“
abgeben. Hier liegt also ein wirkliches, unbearbeitetes Objekt unserer
Gegenstandskultur vor, dass sich ohne störende künstlerische Eingriffe beobachten
lässt.
Trotz dieser Arbeit wird die Ausstellung ihrem Anspruch nicht gerecht.
Weder können die ausgestellten Arbeiten die politische Dimension
von Gebrauchsgegenständen sichtbar machen, noch ist die von den meisten
Künstlern gewählte Methode den zeitgenössischen Produkten gegenüber angemessen.
Was die Ausstellung exemplifiziert, ist die weitgehende Unfähigkeit zeitgenössischer Künstler zur Erkundung utopischer, programmatischer oder politischer Dimension von Gebrauchsgegenständen. Vielleicht sollte man sich daran erinnern, dass eine solche Erkundungsleistung durchaus auch, womöglich sogar besser, unmittelbar vor den eigentlichen Gegenständen vom Publikum selbst erbracht werden kann.